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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1899 Hoffenheim vs. 1. FC Nürnberg

Ausgezeichnet „unwürdig“

 Ob Wissenschaft, Wissen über den freudlosen Frustfan schafft?

Wir möchten unsere Mannschaft nach diesem 2:1 gegen den Tabellenachtzehnten der Bundesliga, der seit über 15 Spielen nicht mehr gewonnen hat und so wenig Punkte hat wie noch keine Mannschaft zuvor seit Einführung der 3-Punkte-Regel zu diesem Zeitpunkt würdigen.

Nein, das meinen wir jetzt nicht ironisch.

Und nein, wir sind auch nicht unkritisch oder handzahm geworden.

Und natürlich nein: Das Spiel war alles andere als gut. Aber wir haben keine Lust, in diesen Chor der Dauerfrustrierten einzustimmen, denn diese Menschen tun niemandem gut. Sich selbst auch nicht, aber das ist deren Entscheidung, wie sie mit sich umgehen.

Wir wollen, dass es uns gut geht und dafür sind in erster Linie wir selbst verantwortlich. Und dazu ist uns jedes reflexartige Verhalten (außerhalb des Spielfeldes) zuwider. Wir möchten nicht, dass wir zu den Menschen die …

… so weitgereist sind, dass sie natürlich schon auf den Langerhans’schen Inseln waren und die einem auch auf einem Globus zeigen können.

… ausflippen, wenn man ihnen erzählt, dass in deutschen Grundschulen (jetzt) verpflichtend mit arabischen Zahlen gerechnet werden muss.

… lauthals fordern, dass alle Fußballer die deutsche Nationalhymne mitsingen müssen, aber fänden es total affig, wenn man die Kicker (evtl. erst nach dem Tode Beckenbauers) zwingen würde, vor einem Länderspiel auf die Melodie, die auch noch von einem Österreicher stammt, von „Gott erhalte Franz, den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz“, ihre Stimme zu erheben, zumal sie das vor dem WM-Finale 1974 auch schon nicht getan haben.

Wir könnten die Liste ewig fortführen. Das ist uns aber echt zu dumm. (Schließlich wäre es das auch, da diese Inseln in der Bauchspeicheldrüse liegen, 0-9 bekanntlich „arabische Ziffern“ sind und „Das Lied der Deutschen“ auf die Melodie der 1797 komponierten Kaiserhymne des Österreichers Joseph Haydn zurückgeht.)

Lieber wenden wir uns wichtigeren und intelligenten Dingen zu, damit wir einfach vollumfänglicher klüger werden, wie z. B.

… den Nachweis, dass die meisten Leute, die komplizierte Produkte benutzen, das Handbuch nicht lesen.

… die Messung von Häufigkeit, Motivation und Effekte von Schreien und Fluchen beim Autofahren.

… die Funktionalität von Spucke als Reinigungsmittel.

… den Erkenntnis, dass Schimpansen im Zoo genauso oft und genauso gut Menschen imitieren wie umgekehrt.

… die Berechnung, dass eine kannibalische Ernährung des Menschen deutlich weniger Kalorien enthält als die meisten traditionellen fleischenthaltenden Kostformen.

… ob man eine Darmspiegelung bei sich selbst im Sitzen durchführen und was man von der Selbstdarmspiegelung lernen kann.

… Weinkenner zuverlässig eine einzelne Fliege im Weinglas riechen können.

… die Frage, ob der Einsatz von Voodoo-Puppen geeignet ist, Chefs ihre Bösartigkeiten zu vergelten.

… ob man die Passage von Nierensteinen mittels Achterbahnfahrten beschleunigen kann.

… ob man mittels Briefmarken feststellen kann, ob das männliche Sexualorgan noch richtig funktioniert.

Gerade Letzteres brachte uns schon auf die Idee, das gegebenenfalls mal bei diesen (aber halt nicht sexuell) dauererregten Menschen einzusetzen, um vielleicht so einen ersten Schritt in die Richtung eines wissenschaftlichen Beweises für die Richtigkeit oder aber eben auch Nichtigkeit der klassischen ad hoc-Analyse von aggressiven Gemütsschwankungen zu liefern: „overworked & underfucked“.

Vielleicht brächte das uns oder der TSG genau das ein, was es für die obengenannten Untersuchungen wirklich gab: wissenschaftliche Weihen.

Nein, auch das meinen wir jetzt nicht ironisch.

All die oben aufgeführten Arbeiten wurden mit dem „Ig-Noble Prize 2018“ ausgezeichnet – in den Disziplinen Literatur, Frieden, Chemie, Anthropologie, Ökothrophologie, Medizinausbildung, Biologie, Wirtschaft, Medizin, Reproduktionsmedizin.

Dieser Preis ehrt seit 1991 wissenschaftliche Leistungen, die die Menschen erst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen und wird seit 2012 an der hochrenommierten Harvard-Universität vergeben.

Zuvor fand die Preisverleihung am Massachusetts Institute of Technology statt, einer Institution, mit dem die TSG zusammen mit der DFL sowie der WHU – Otto Beisheim School of Management das weltweit erste MIT Sports Entrepreneurship Bootcamp in Deutschland veranstaltet.

Nun hat uns die Leistung unserer Mannschaft wenig, dafür umso mehr der Ausgang zum Lachen gebracht – und zum Nachdenken:

Sollten wir in dieser Saison doch noch was reißen, wenn wir solche Spiele auch mal gewinnen können? Denn zweifelsohne war an diesem Spiel das Beste das Ergebnis.

Was zudem sehr positiv auffiel, war der quantitative Zuspruch. Eine fast ausverkaufte Hütte gegen einen alles andere als attraktiven Gegner ist wahrlich positiv zu werten. Andererseits war es hochgradig erschreckend, wie lethargisch und eigentlich auch latent aggressiv schweigsam das Publikum dem Treiben auf dem Rasen zuschaute.

Natürlich gibt es im Fußball die Rede vom Eventfan, dem Operetten-Publikum, aber keines dieser Begriffe trifft auf die Menschenmenge zu, die gestern im Stadion war. Nicht einmal bei einer Castingshow ist das Publikum so argwöhnisch gegenüber dem, was ihm geboten (werden) wird. Auch dieses ist durchaus bereit, eine gute Leistung mit Applaus zu goûtieren, aber insgeheim wird darauf gehofft, dass sich wer lächerlich macht, so dass man diesen aus Herzenslust ausbuhen kann. Was für ein Herz ist das, das eine solche Lust verspürt?

Es gibt ja auch Urlauber, die nur mit dem Ziel wohinfahren, um sich zu beschweren: Zimmer entsprach nicht den Abbildungen im Katalog, im Hotel waren zu viele Einheimische, Personal sprach nur gebrochen Deutsch („Schabb ganz nomaal midd dänne gebabbld, awwa glaabsch, die hawwe aa nur ään Finga krummgemacht, die Dreckssseggl?“). So ähnlich war das: viel Vorfreude auf die Enttäuschung und die Bereitschaft, diese kundzutun – und eben nicht das seinige zu tun, auf dass es sich bessern möge:

Der erste missglückte Abschlag Baumanns, Gemecker.
Der erste (nicht gravierende) Fehlpass von Vogt, Groll.
Bicakcics unpräziser Spielaufbau, Unmutsbekundungen.
Kramarics erste Eigensinnigkeit, Frust.

Es ist erschreckend, wie wenig die Fans als Team hinter dem Team stehen. Einige Spieler haben immerhin Kredit, was sich durch Nichtkommentierung von nicht perfekten Aktionen ausdrückt. Aber Aufmunterung? Anfeuerung? Fehlanzeige!

Auch diesmal versuchte die Südkurve viel, aber der Funke wollte weder auf den Rasen noch auf die anderen Seiten der Arena überspringen. Ob Gegengerade, Nordkurve oder die Haupttribüne, alles blieb über weite Teile des Spieles ähnlich der Mannschaft vieles schuldig.

Lag das wirklich nur daran, dass einem der Sonntagsbraten noch im Magen lag? Oder liegt da einfach mehr im Argen? Ist das Publikum zu fett? Zu feist? Zu satt? Oder zu gefräßig? Oder sind sie einfach naturunzufrieden? Oder liegt es an etwas anderem?

Können wir etwas aus den Gewinnerarbeiten des Ig-Noble Prizes 2018 ableiten? Das mit der Briefmarke hatten wir ja schon, aber taugt die Arbeit über …

… den Nachweis, dass die meisten Leute, die komplizierte Produkte benutzen, das Handbuch nicht lesen, Menschen, die in die PreZero-Arena gehen, nachzuweisen, dass sie keine Ahnung von Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen haben?

… die Messung von Häufigkeit, Motivation und Effekte von Schreien und Fluchen beim Autofahren, dass Beschimpfen der eigenen Spieler deren Leistung nicht fördert?

… die Funktionalität von Spucke als Reinigungsmittel auch als Beleg des Idioms vom „Mund abwischen, weitermachen“?

… die Berechnung, dass eine kannibalische Ernährung des Menschen deutlich weniger Kalorien enthält als die meisten traditionellen fleischenthaltenden Kostformen, als Muster für ein Framingkonzept, dass dem Fan es erleichtert, die Mannschaft zum Fressen gern zu haben?

… eine Selbstdarmspiegelung zur Erkenntnis, dass so mancher Sitznörgler sich seinen Scheiß sonstwo hinschieben kann? (Vielleicht gäbe es hierfür einen Extrapreis im Bereich Metaphorik?)

… das Können des Weinkenners, zuverlässig eine einzelne Fliege im Weinglas riechen zu können, nutzen lässt zum Wittern von Wetterern?

… die Frage, ob der Einsatz von Voodoo-Puppen geeignet ist, Chefs ihre Bösartigkeiten zu vergelten, selbiges für nörgelnde Nebenitzer und Nebensitzerinnen adaptierbar ist.

… die Beschleunigung von Nierensteinen mittels Achterbahnfahrten zur erhöhten Ausschüttung von Dopamin mittels kontinuierliches, durch den Chant „Steht auf, wenn ihr für Hoffe seid“ inszeniertes Bewegungsprogramm nutzen kann.

… die Erkenntnis, dass Schimpansen im Zoo genauso oft und genauso gut Menschen imitieren wie umgekehrt, zur Erklärung des Effekts von lahme Fans, lahmes Spiel?

Das Spiel gestern würde hierfür taugen, denn in Sachen Emotionslosigkeit standen sich Team und Fans in nichts nach. Allerdings gilt da Ursache und Wirkung zu berücksichtigen. Außerdem muss man das Team da wirklich in Schutz nehmen: Pfostentreffer Belfodil, Riesenchance Kaderabek, Elfmeter (???) Joelinton (diese Szene wurde leider in der Sportschau nicht gezeigt), also es war ja nicht so, dass die TSG sich keine Chancen erarbeitete, aber aus dem Spiel heraus gab es einfach zu wenig Chancen. Dennoch war die 1:0-Halbzeitführung durch den verwandelten Handelfmeter Kramarics hoch verdient.

In der 2. Halbzeit erinnerte vieles an die Deutsche Bahn: Kaum gab es mal so was wie Zug, blieb er auf halber Strecke liegen, ansonsten kamen unsere Spieler in den Zweikämpfen meist zu spät, ergo nicht ans Ziel, dafür die Gäste, die auch schon eine gefühlte Ewigkeit kein Tor mehr erzielten, plötzlich zum Ausgleich. Überhaupt schien der ums Stadion tobende Sturm auch auf dem Platz so manche Strecke lahmgelegt zu haben. Nagelsmann stellte die Weichen um und brachte mit Szalai und Bittencourt eher die Harten. In das (Sprach-)Bild passt, dass es diese Nach-Zügler waren, die mit einem Sonder(spiel)zug den Endstand vorbereiteten:

Schöne Körpertäuschung Bittencourts, Grundlinie, Pass in den Rücken der Abwehr, Hacke Szalai, Hacke Kramaric, durch die Beine des Gästetorwarts, drin das Ding. So kann Fußball sein: einfach, schön.

Und genau das verdient Würdigung: scheiße zu kicken, vom eigenen Publikum gnadenlos ver-, zumindest beurteilt zu werden, einen schwachen Gegner stark gemacht und dann doch noch einen Treffer erzielt zu haben und diesen knappen Vorsprung nach zwei hoch unglücklichen Spielen und entsprechenden Punkteverlusten in den Wochen zuvor über die Zeit gebracht zu haben, ist aller Ehren wert.

Auch so etwas verdient Anerkennung. Man darf das Spiel nämlich nicht unbedingt isoliert betrachten. Im Zusammenhang der letzten Wochen oder genauer: schon die gesamte Saison bis vielleicht auf den Sieg in Hannover sowie das Unentschieden in Bremen in der Hinrunde, war uns das Glück wenig hold und wir wurden für so manches Spiel nicht belohnt.

Diesmal machten wir vieles schlechter, aber dafür dank des Sieges auch schon mal einen Platz gut. Um mehr ging es ja eigentlich gar nicht. Und wir blieben in Schlagdistanz zum nächsthöheren Tabellenplatz … also so gesehen, wenngleich auch nur so gesehen (bis auf die Atmosphäre):

Ende gut.
Alles gut.

Und wenn man so etwas nach dem Spiel sieht, sieht doch alles noch besser aus …

TSGFCN_2019

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Quellen der ausgezeichneten Arbeiten:

  • „La Justicia en el Tráfico: Conocimiento y Valoración de la Población Española“ [„Justice in Traffic: Knowledge and Valuation of the Spanish Population“)], F. Alonso, J. Sanmartín, C. Calatayud, C. Esteban, B. Alamar, and M. L. Ballestar, Cuadernos de Reflexión Attitudes, 2005. doi:? (Abstract auf englisch)
  • „The Scent of the Fly,“ Paul G. Becher, Sebastien Lebreton, Erika A. Wallin, Erik Hedenstrom, Felipe Borrero-Echeverry, Marie Bengtsson, Volker Jorger, and Peter Witzgall, bioRxiv, no. 20637, 2017. doi: 10.1007/s10886-018-0950-4

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