VfB Stuttgart vs. 1899 Hoffenheim
Abseits
Über die Intelligenz des Spiels und seiner Randerscheinungen
Fußball steht ja unter Intellektuellen bisweilen im Verdacht, einerseits das Banale zu erhöhen, andererseits das Hehre zu banalisieren. Dieser implizite Vorwurf verdeckt jedoch nur schwerlich den Vorwurf am Spiel an sich, wobei wohl weniger das Spiel als Spiel gemeint ist, sondern als Gesamtevent inklusive seiner medialen und sozialen Randerscheinungen.
Wer so argumentiert, kommuniziert auch eher eine Meinung, denn eine Überzeugung – aber daran mangelt es Intellektuellen vor lauter Dialektik ohnehin weitaus häufiger als denen, die man landläufig als „Fans“ und als solche weniger im Verdacht stehen, vor lauter Hegel verwirrt zu sein.
Sie sind überzeugt – und voller Rituale. Sie stehen zu ihrem Verein (u.a. als Spielfeldranderscheinung), tragen alle Symbole der Gefolgschaft mit sich (Banner, Fahnen, Tuche und Farben) und ihre Gesänge künden mit Inbrunst von einer Zeit, als wohl noch um Mittelerde gekämpft wurde. Stolz, Treue, Ehre bis zum Tod – sind die Worte und Werte all jener.
Natürlich hinter Zäunen, was eine direkte, körperliche Konfrontation und damit auch die Gefahr, das gesanglich dargebotenen Versprechen (= Ableben) einzulösen, ausschließt.
Das freut jeden Fan (und hoffentlich auch dessen Familie) und natürlich auch den, in dessen Namen dies geschieht, denn kein Verein zieht in einen Krieg. Wenn schon, dann zieht er, also seine Spieler, einen Tag vor dem Spiel in ein 5-Sterne-Hotel, was zugegebenermaßen und glücklicherweise nicht ganz dasselbe ist.
Wenn es der Verein als nicht möchte, es dennoch getan wird, ist es wohl so, dass er Mittel zum Zweck ist (neudeutsch: Opfer). Es würde jetzt zu weit führen, die Ursachen hierfür adäquat zu beschreiben, schließlich wollen wir hier auch noch vom Spiel berichten – und nicht in die Falle von Semiintellektuellen treten, die ja bei diesem Thema sehr gerne ein wahres Schlagwortgeschwader loslassen (Bildungsferne, Bindungsängste o. ä.), ohne eine jener Aussagen je verifiziert zu haben.
Wir fuhren mit dem Fanbus nach Stuttgart. Stehplatz. Mittendrin statt plump daneben. Man genießt ja als Gastfan einen gewissen Service, der ja sonst oftmals nur VIPs zuteil wird: Polizeischutz, Hintereingang, Parkplatz nahe am Entrée – das hat schon was. Und: Man ist sehr früh da. Man hat sehr viel Zeit, das Unwesentliche zu studieren, die vermeintlichen Randerscheinungen, sich als Fan selbst.
Überhaupt sind es die Fanblocks, die sich als erstes im Stadion füllen. Es hat doch was Militärisches. Zuerst kommt das Fußvolk mit all seinen Insignien, bevor die „Kavallerie“ kommt, also die, die sitzen. Doch beide Gruppen betrachten etwas, was mit ihnen selbst de facto nichts zu tun hat. Zwar gibt es wohl bei allen Betrachtern eine emotionale Bindung zum betrachteten Geschehen, diese ist jedoch unterschiedlich ausgeprägt – und intensiver ist diese bei der „Kavallerie“, denn das Gros des Fußvolks partizipiert höchstens an dem dargebotenen Geschehen, hat also nur teils teil. Ansonsten ist es ein ganz eigenes Spiel, welches sie da treiben.
Anpfiff. Und während auf dem Platz Ball und Spieler in Bewegung kommen, tun das auch die Fans. Sie wenden sich aber vom Spielfeld ab, den Zäunen zu. Oberhalb unserer Plätze auf der Empore, die den Fans der Heimmannschaft vorbehalten war, entrollen sie ein Transparent, auf dem Pfeile nach unten zu sehen waren und zwischen ihnen die Worte „Traditionslose Arschlöcher hier abstellen“. Das hat durchaus komisches Potenzial, wobei die Verbalinjurie viel vom Witz dieser Aktion nimmt.
Ein kreativer Konter unserer Stehnachbarn blieb aus – und wer immer im Bus den Spruch brachte „Stuttgart 21 – Das Jahr des Wiederaufstiegs“ er konnte sich leider, leider nicht durchsetzen :-).
Bedauerlichweise standen die Hoffenheimern den Gastgebern in Sachen Verbalinjurien in nichts nach. Tja, es ist ein weiter Weg, Menschen zu Selbstbewusstsein und Ich-Stärke zu verhelfen. Denn zuerst müssen sie einsehen, dass man selbst an Stärke gewinnt, wenn man seinen Gegner erhöht, denn wenn man siegt, war man noch stärker und sollte man eine Niederlage kassieren, scheiterte man nicht an einem „wichsenden Hurensohn“ o. Ä.
Aber das ist ja mit ein Grund für uns, dass es uns, den Akademikerfanclub, überhaupt gibt.
Die Existenz eines Akademikerfanclubs inmitten von anderen Fanclubs soll zeigen, dass wir alle, egal wer wir sind, dieses Spiel lieben und gern die Freundschaften, die um dieses Spiel herum entstehen, pflegen. Es ist ein Wagnis, sich angesichts der immer noch politisch gepflegten und weit verbreiteten „Elitefeindlichkeit“ bewusst zum Akademikertum zu bekennen. Das Ganze aber dann noch in die Fußballkurve zu tunken, das trägt anarchistische Elemente.
Ja, wir lieben dieses Spiel und möchten es nicht einfach so dem plebs überlassen. Es gibt keinen Grund, dies zu tun. Im Gegenteil: Es ist Ausdruck unserer sozialen Verantwortung und unseres gesellschaftlichen Engagements, dass wir just in diesem Terrain auftreten. Dabei geht es uns darum, mehr kluge Menschen für dieses Spiel und seine Randerscheinung zu gewinnen. Wenn dabei die Dummheit und asoziales Treiben verdrängt werden würde, wir würden es hinnehmen.
Aber es geht um die gemeinsame Freude am Schönen – und die zeigte sich wunderbar, nachdem 1899 zum fünften Mal innerhalb von einer Minute an der selben Stelle Einwurf hatte, die Abwehr des Gegners den Ball aber dann nicht wieder ins Aus schoss, sondern vor Becks Füße, der dann zum Glück nicht flankte, sondern passte – und der Pass passte – und gleich so gut, dass Salihovic den Ball sogar mit seinem rechten Fuß ins Stuttgarter Tor schoss.
Hier waren wir nun alle vereint – ganz im Sinne einer liberalen Bürgerbewegung, die gerade in Baden tief verwurzelt ist. Am besten drücken es die Zeilen des „Königsberger Lieds“ aus, das im Deutschen Volksliedbuch 1847 in Mannheim erschienen ist:
….
Ob wir können decretiren,
Oder müssen Bogen schmieren
Ohne Rast und Ruh;
Ob wir just Collegia lesen,
Oder ob wir binden Besen –
Das thut nichts dazu.
Tor für die TSG 1899 Hoffenheim – und das ohne, dass wir bis dahin wirklich eine Chance gehabt hätten, der Gegner aber auch kaum. Ohnehin war es ein Spiel, was sich im Laufe der nächsten Jahre (Verbleib beider Mannschaft in derselben Liga vorausgesetzt) zu einem echten Derby auswachsen könnte.
Sehr viel Kampf, sehr viele Ballverluste, aber vielleicht lag es auch einfach an dem Platz. Klar, Rasenheizung an und leichter Frost von oben. Macht: grüne Seife. Da wurde gegrätscht und gerutscht, jedoch nur wenig gespielt. (Vielleicht könnte die DFL dieses Spiel einmal weniger nah an Weihnachten terminieren?)
Keine Mannschaft war in der Lage, den Ball über mehr als fünf Stationen in den eigenen Reihen zu halten. Und so, wie unser Tor das Ergebnis einer missglückten Abwehr war, war der Ausgleich der Stuttgarter ein missglücktes Zuspiel unserer Mannschaft im Mittelfeld.
Das war nicht unverdient, aber völlig unnötig – und unglaublich, dass es plötzlich eine Rote Karte gegen Vorsah gab. Keiner hatte was gesehen, auch der Schiedsrichter nicht, aber sein Assi und so gingen dann vier Minuten später in Stuttgart 21 Mann in die Kabine.
Die Halbzeit selbst war geprägt von Langeweile. Um uns rum verebbten die Gesänge und Tiraden. Gesprochen wurde viel, aber interessanterweise nicht mit dem Menschen neben einem, sondern der an der anderen Seite der Leitung. Und noch überraschender, was die These vom Spiel neben dem Spiel stützt, keiner, aber auch wirklich niemand, äußerte sich zum Spiel auf dem Platz. Es schien Wichtigeres zu geben …
Die zweite Halbzeit verlief fast wie die erste aus Hoffenheimer Sicht. Auch da hatten wir keine einzige Chance erspielt, allerdings schossen wir auch kein Tor Der Gegner zum Glück aber auch nicht. Die Verteidigungsleistung war gut und solide – und wurde diesmal belohnt. Jede Seite ein Tor. Jede Seite ein Punkt.
Eine Sache noch: Haas machte zugegebenermaßen ein sehr gutes Spiel. Er hielt jeden Ball und den auch in 99% der Fälle gleich beim ersten Zupacken fest.
Und noch eine: Rangnick. Machte das auch gut. Natürlich wechselte er von 4-3-3 nach dem Platzverweis auf 4-4-1, aber der Schwerpunkt lag auf Konter. Er wechselte immer nur gleich ein. Keine besondere Stärkung für die Defensive. Und das hat gewiss auch dazu beitragen, dass wir letztlich einen Punkt aus Stuttgart mitnehmen konnten – und so manche ganz und gar nicht banale Erkenntnis über die wahren und die anderen Fans des Spiels.
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