USC Paloma – 1899 Hoffenheim
Kein „Schlag den Star“
Chancenlos vs. Chancen satt
Der reichste Spieler kam in der 60. Minute. Aber der hieß nicht Roberto Firmino, Andreas Beck oder Sejad Salihovic. Diese drei standen nicht einmal auf dem Spielberichtsbogen. Sondern Olufemi Smith. Und das ist kein Neueinkauf der Hoffenheimer, sondern der älteste Spieler im Kader von USC Paloma Hamburg.
Am 18. April 2009, genauer gesagt, am 19. April 2009 schlug der ehemalige Fußballer der 2. Mannschaft des FC St. Pauli in der Sendung „Schlag den Raab“ den Gastgeber. Nach dem letzten und entscheidenden Spiel drehte er den 50:55-Punkte-Rückstand noch und war um 2,5 Millionen Euro reicher. Das Spiel, das ihm zu Geld und Ruhm verhalf, hieß … „Elfmeterschießen“.
Doch davon waren die Hausherren zum Zeitpunkt seiner Einwechslung weit entfernt – und in den letzten 30 Minuten konnte er das Spiel auch nicht mehr drehen.
Es wäre auch DAS Wunder aller DFB-Pokal-Wunder geworden, wäre ihm das gelungen, schließlich betrug der Rückstand zum Zeitpunkt seiner Einwechslung nicht nur 5, sondern bereits 8 Zähler.
Dabei versuchten wir, die sehr freundliche und überaus launige Atmosphäre beim Gastgeber zu respektieren und zu fördern, denn kaum war deren Star auf dem Feld, holte das Geburtstagskind Markus Gisdol, der von den zahlreich mitgereisten Fans vor dem Spiel mit mehreren „Happy Birthday“-Ständchen gefeiert wurde, wofür er bereits vor dem Spiel auf die Fans zuging und sich vor ihnen verbeugte, was ihm gewiss und zu Recht noch mehr Pluspunkte bei ihnen einbrachte, den Star des Tages unserer Mannschaft vom Platz: Sven Schipplock.
„Zum Glück ist er jetzt draußen!“, kommentierte der großartige Stadionsprecher seine Auswechslung süffisant. Verständlicherweise, hatte Schippo doch bis dahin fünf Tore gegen die Gastgeber erzielt, inklusive eines Hattricks binnen einer Viertelstunde in der 1. Halbzeit. Zu den Treffern zum 3, 4 und 5:0 zwischen der 18. und 33. Minute erzielte er noch das 7. kurz vor sowie das 8. Tor für die TSG kurz nach der Halbzeit.
Drei Minuten nach diesem Treffer geschah etwas, was der Ticker auf Spiegel Online mit den Worten kommentierte: „Unglaublich: Schipplock vergibt eine Chance!“ Das war es, unglaublich, denn bis dahin war jeder seiner Schüsse ein Treffer. Na ja, die Chance war ein Kopfball, aber dennoch knapp.
Davor trafen Elyounoussi in der 9. (nach Vorarbeit von Schipplock), Bicakcic in der 17. Minute, zwischendurch auch Szalai in der 34. Minute sowie zum Schlusspfiff der Schipplock-Ersatz Modeste zum 9:0-Endstand.
„Ihr habt das bessere Team,“ anerkannte der Stadionsprecher dann auch nach dem Schlusspfiff und ergänzte den Satz nicht weniger falsch mit: „Dafür haben wir die schönere Stadt!“ Und er lud alle ein, mit der Mannschaft ab 19 Uhr im Vereinshaus dieses Spiel und vor allem wohl sich selbst zu feiern – wozu der Verein auch allen Grund hatte.
Er hat PR-technisch das Beste aus seinen Möglichkeiten gemacht. In den lokalen Medien wurde schön regelmäßig über das Spiel vorab berichtet, ihr Spot …
… wurde überall gezeigt, auf YouTube wurde er immerhin rund 14.000 mal geklickt, es gab anlassbezogene Merchandising-Produkte sowie eine sehr spaßige Stadionshow, die der Stadionsprecher einleitete mit den Worten: „Kommen wir jetzt zum ersten Höhepunkt …“ Es hatte etwas sehr Heimeliges und erinnerte stark an Gemeindefeste in festlich gekleideten Sporthallen.
Ein Shanty-Chor trat auf. Der aus „Inas Nacht“ konnte nicht, da eines der Mitglieder 70 wurde, was mal ein valider Grund ist und zeigt, dass man Menschen diesen Alters heute nicht ohne Grund „Golden Ager“ nennt, aber dennoch wurden wir nicht mit irgendeinem Seemannslieder singenden Altherrenensemble abgespeist, nein, nein, nein, sondern man begrüßte uns mit „De Jungs vun de Logerhus“, jawoll, DEM Shanty-Chor, „der die deutsche Olympia-Mannschaft 2012 nach ihrer Rückkehr aus London in Hamburg begrüßte“ (Stadionsprecher).
Mit Gold in der Kehle gaben sie selbstverständlich „La Paloma“ zum besten. Leider war im Stadion wie bei uns die Soundanlage Blech, dafür aber deren gewiss günstiger als die bei uns. Na ja, und wesentlich älter. Zu deren Geschichte sagte der Stadionsprecher nichts. Aber ein Hinweis auf deren Wiederherstellung, nachdem sie bei einem Luftangriff 1945 stark beschädigt worden wären, hätte nicht überrascht.
Der zweite „Höhepunkt“ waren dann die weißen Tauben, die zum Anpfiff aus ihren Kästen entlassen wurden und entgegen dem, was einst Hans Hartz (?I) von ihnen gesanglich (?) berichtete, gar nicht müde und in einer sehr klaren taktischen Grundordnung, in der sich das komplette Gefüge immer komplett und kompakt verschob, wobei die Positionen stets gehalten worden, über das Ausweichstadion „Hoheluft“ flogen* …
* … das eigentlich Heimstatt von Victoria Hamburg ist und laut wikipedia womöglich nach einem Galgen, der dort 1602 stand, benannt ist. Oder auch nach einem Wirtshauslicht, was auch nicht unlustig ist.
Als dann nach all diesen Höhepunkten das Spiel begann, war klar, dass die Gastgeber auf die Hamburger Natur hofften, um die Sensation zu schaffen. Der Rasen war eher hoch, was den Ball sehr langsam machte. Hätte es dann mal etwas länger als die paar Sekunden Mitte der ersten Halbzeit geregnet, hätten die Gastgeber mit Fernschüssen gefährlich werden können. Aber der Regen blieb aus. Und aus der Ferne wurde erst gar nicht geschossen, was vor allem daran lag, dass den Spielern aus der Freien und Hansestadt das hierfür nötige Spielgerät so gut wie nie zur Verfügung stand.
Ups, das klingt jetzt dann doch zu dominant. Sie kamen zumindest zu Anfang das ein oder andere Mal an den Ball, weil unsere Spieler so präzise nicht spielten und sie auch die Räume gut zuliefen.
Gerade Bicakcic brachte wenig Bälle an den Mann, obwohl er wohl mit dem Spielaufbau von hinten beauftragt war. Süle spielte eher den langen Ball, der aber auch meist verloren ging. Kim agierte auch nicht sooo glücklich, machte dies aber immer wieder mit Einsatz mehr als wett. Dennoch ließ es das Spiel über seine Seite sowie das geplante Zusammenspiel mit Elyounoussi nicht so flüssig wirken, wie es sicherlich geplant war.
Über rechts ging eher wenig. Überhaupt konnte sich der „Fastweltmeister“ (Stadionsprecher) Volland wenig in Szene setzen. Auch Szalai verhedderte sich zu Anfang oft in Zweikämpfen, was aber den Vorteil hatte, dass es bei ihm wie auch den anderen Spielern insbesondere Polanski ein gerüttelt Maß an Adrenalin freisetzte, sodass die Mannschaft das rein technische Spiel recht schnell aufgab, den Kampf annahm und insgesamt robuster spielte, um erst gar nicht in die Bredouille zu kommen, plötzlich irgendwann einem Rückstand aus dem Nichts hinterherlaufen zu müssen.
Doch so sehr sich die Gastherren sich auch mühten, es taktisch gesehen den Tauben gleichzutun, lange hielten sie es nicht durch und unserem Druck nicht stand. Schon der erste Fehler der Gästeabwehr führte sofort zur Führung. Und als dann noch die Treffer Nr. 2 und 3 fielen, war wieder alles gut – und es wurde ein Gang rausgenommen.
Dass dann trotzdem noch vier Treffer in der ersten Halbzeit fielen, hing natürlich mit der Orientierungslosigkeit der Gastgeber zusammen, die mit einem so schnellen und hohen Rückstand nicht gerechnet haben. (Man kennt das spätestens vom WM-Halbfinale Brasilien-Deutschland:
In der Halbzeit wurde entsprechend nur noch diskutiert, ab der wievielten Minute es wohl zweistellig wird, was man aber irgendwie auch nicht wollte. Nicht, dass man Mitleid hatte, aber man musste es ja auch nicht übertreiben. Vielleicht fällt auch gar kein Tor mehr, weil der Trainer eine Trainingsspielanordnung gibt, wie z. B. es muss nur noch direkt gespielt werden oder maximal zwei Ballberührungen oder oder oder, schließlich geht es nächste Woche in der Liga los mit einem Heimspiel gegen eine kämpferisch und läuferisch sehr starke Mannschaft. Vielleicht soll sich die Mannschaft schonen oder schon etwas in einer Art Sparring einstudieren.
Nun ja, zuerst ging es weiter gut los. Wieder neun Minuten nach Anpfiff fiel das erste Tor der Hoffenheimer, aber dabei blieb es eben dann auch – bis zur 90., was aber damit zu tun hatte, dass wir unsere Chancen nicht konsequent zu Ende gespielt haben oder Querpässe spielten, wo Torschüsse die bessere Alternative gewesen wären. Aber Meckern nach einem 9:0 wirkt befremdlich, also lassen wir das hier. Dennoch sind das Punkte, die man seitens des Trainers gewiss in der Vorbereitung auf das erste Spiel ansprechen wird.
Jener Mann war auch nach dem Spiel der erste am Zaun der Fans, die er von einer Seite zur anderen abdefilierte und alle ihm zugestreckten Hände schüttelte. Nur wenige Minuten später tat es ihm die Mannschaft gleich, nachdem sie den Trikottauschwünschen ihrer Gegenspieler nachgekommen war.
Damit hat das Team natürlich bei den eigenen Fans wieder extra gepunktet, aber auch sonst waren wir gute Gäste, die nicht müde wurden, den Gastgeber mit Lob für alles zu überschütten. Zu Recht.
Natürlich gab es auch Leute, die uns weniger zugetan waren und die standen am Rande zum Gästeblock. Deren Ziel war nur die Provokation, die sich allerdings nicht gegen Hoffenheim richtete, sondern sich in einer bis dahin nicht gehörten diffusen Art ausdrückte, die nicht ohne Komik ist: „Ihr seid Schweine, Südvereine!“ (oder so ähnlich. Selbst das beste Hochdeutsch ist, mit mehreren Promillen geäußert, nicht so einfach zu verstehen.) Wir gehen davon aus, dass nach deren Verständnis darunter alle Klubs ab Lüneburg in Richtung Allgäu/Bodensee fallen – und davon kennen sie ja nur zwei – und beide haben sie dem DFB-Pokal zu verdanken: uns und den 1. FC Kaiserslautern, der gegen denselben Gegner im selben Wettbewerb vor 12 Jahren mit 5:0 gewann, mit einem gewissen Wiese im Tor, bei dem (dem Spiel, nicht dem Spieler), wie der kicker ehedem berichtete, Mario Basler vor der Ausführung eines Eckballs Autogramme schrieb.
Das taten wir nicht. Statt Autogramme schrieben wir Geschichte. Oder gab es schon einmal eine Mannschaft, die zweimal hintereinander ihr Erstrundenspiel mit 9:0 gewann?
Was das Spiel brachte, wissen wir dann am Samstag – und das gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen wird der nächste Gegner in diesem Wettbewerb ausgelost, zum anderen haben wir dann das Spiel gegen Augsburg hinter uns, die gegen einen Viertligisten ausgeschieden und entsprechend motiviert in die RheiNeckArena kommen werden. Sollten wir das Spiel aber auch nur halb so souverän gestalten können wie eben jenes Erstrundenmatch gegen den USC Paloma Hamburg , könnte dies der Start in die erfolgreichste Bundesliga-Saison aller Zeiten für Hoffenheim werden.
Die Zeichen stehen auf Zuversicht.
Dazu (und nochmals zum Geburtstag) wünschen wir dem Trainer alles Gute.
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