SC Freiburg vs. 1899 Hoffenheim
Miss Verständnis
Jede Menge Leerlauf auf dem Rasen
Man war schon erstaunt, was einem da geboten wurde.
Zum einen ein Stadion, das herrlich in einem bürgerlichen Wohngebiet gelegen, von wo aus die Leute nicht ohne ethnologischem Interesse auf die Hundertschaften Blau-Weißer (Hoffenheim-Fans) schauten, die von einer Hundertschaft Blau-Grauer (Polizei) sowie humanoider Ninja-Turtles (Einsatzkräfte in hell-nato-olivem Kampfdress) vom eingleisigen Bahnhof Freiburg-Littenweiler zu jenem Bauwerk aus viel, viel Stückwerk direkt zum Gästeeingang geleiteten, deren Block Fußballtraditionalisten eigentlich jetzt, wo es klar ist, dass die Breisgauer ein neues, modernes Stadion bekommen werden, provozieren müsste, eine Petition zum Erhalt dieses Areals als „Kulturgut“ zu starten, was wohl kaum passieren dürfte, zu dürftig sind doch die Einrichtungen in dieser Einrichtung, zum anderen das, was einem auf der höchstens durch eine an Vielfalt überzeugende Architektur umrandeten Spielfläche, was zumindest in der ersten Halbzeit dieser Einleitung an an Unverständlichkeit grenzendem Wirrwarr in nichts nachstand. 🙂
Und in der Halbzeit selbst ging das gerade so weiter: Da spazierten jene Damen aufs Spielfeld, aus deren Mitte eine am nächsten Wochenende im nahegelegenen Europa-Park zur „Miss Germany“ gekürt werden wird.
Wird so lange nicht dauern, denkt man sich, weil man denkt, die Anzahl der Damen entspricht der Anzahl der Bundesländer. Aber weit gefehlt. Es gibt weit mehr. Natürlich gibt es „Miss Baden-Württemberg“, „Miss Rheinland-Pfalz“, „Miss Bayern“ etc., aber dazu gibt es noch „Miss Norddeutschland“, „Miss Süddeutschland“ plus weiterer Regionalmisses sowie „Miss Internet“, „Miss Facebook“ oder Ähnliches. Eigentlich gab es alles – bis auf eine „Miss Mallorca“, was dann doch sehr verwunderte.
Ebenso wie die Tatsache, dass die Damen jetzt schon vor Ort waren. Man fragte sich, was sie in der Woche bis zu deren Wettstreit wohl machen – und kam dann recht schnell auf eine plausible Antwort: Hungern.
Das war nicht böse gemeint – weder waren die Damen, sofern man das aus rund 100 Metern durch ein engmaschiges Ballnetz überhaupt erkennen konnte, Hautskelette, noch Stammgäste in Fast Food-Restaurants.
Vielmehr war es eine verbale Reaktion auf das, was man in den 45 Minuten zuvor sah. Wir hungerten und dürsteten – nicht bloß nach Fußball, sondern nach einem Fußballspiel. Denn das war es nicht, ein Spiel. Es gab auch keinen Kampf. Es gab bloß … und bestenfalls … Gekicke.
Na ja, und zwei Tore, von denen das eine höchst ärgerlich, das andere höchst erfreulich war, aber ansonsten waren sich 1. Halbzeit und Halbzeitpause inhaltlich nicht unähnlich: ein recht sinnfreies Auf und Ab von über 20 Aktiven. Mit anderem Worten, äh, einem Wort: Leerlauf.
Und den hätte man nach Bekanntgabe der Aufstellungen nicht erwartet. Die Hausherren spielten zu Beginn mit derselben Elf mit der sie das Team aus der Bundeshauptstadt besiegten, wir veränderten die Startformation gegenüber dem Spiel, mit dem wir gegen die Landeshauptstadt in letzter Sekunde siegreich waren und aus dem wir gerade aufgrund des Sieges und seiner Umstände jenes Momentum hätten in uns spüren und welches uns mental hätte stark genug machen müssen, endlich wieder „unser Spiel“ zu machen, idealerweise mit dem berühmten „Schritt nach vorn.“
Schwegler für Polanksi war so ein Indiz, das diesen Glauben nach mehr Spiel als Kampf noch verstärkte, aber schon recht bald war klar, was der Unterschied ist zwischen Indiz und Beweis.
Der Ball rollte eigentlich ganz gut und flüssig – beim Gegner. Bei uns gab es entweder lange Pässe ohne Ertrag oder gleich Fehlpässe. Immerhin kamen die Breisgauer auch selten vor unser Tor, aber dafür immer wieder in aussichtsreiche Positionen für das, was sie am besten können: Standards.
Wie schon beim Spiel gegen Augsburg foulten wir viel bzw. waren wir nicht in der Lage zu erkennen, was für den Schiedsrichter als foulwürdig galt. So gab es immer wieder Freistöße für die Freiburger aus dem Halbfeld. Aus einem resultierte dann Mitte der ersten Halbzeit die Führung, wobei der Held der Vorwoche der „Depp“ war: Rudy passte nicht auf seinen Gegenspieler auf. 1:0.
Zum Glück klappte kurze Zeit später einmal ein langer Ball auf Modeste, der das an sich stets ganz gut machte, aber eben keinerlei Unterstützung aus dem insgesamt schwachen Mittelfeld bekam. Er ließ den langen Ball kurz abtropfen auf Volland, der den Ball perfekt traf und wuchtig aus der Ferne in die Maschen netzte.
Aber was war bloß mit unserem Mittelfeld los? Das tat sich spielerisch gar nichts, höchstens durch Fouls hervor, was sogar zur Auswechslung von Schwegler bereits in der 44. Minute führte, da er kurz vor einer gelb-roten Karte stand. Für ihn kam dann Polanski, dann der Halbzeitpfiff und dann Gesprächen zwischen den Fans in Gang.
Unverständnis. Von dem bisschen, was man aus dem Block, in den man gepfercht wurde, sehen konnte, hatte man den Eindruck, dass die TSG-Taktik überraschenderweise wohl die gewesen sein muss, die Gastgeber dazu zu bringen, das Spiel zu machen. Selbiges hatten wohl auch die Hausherren vor, was wiederum weniger überraschte, was aber letztlich dazu führte, dass man trotz Vollands Delikatesse und nicht zuletzt auch aufgrund des zumindest Ergebnis-Leckerbissens der Vorwoche Appetit auf mehr, nach viel mehr Fußball-Raffinesse hatte.
„Die können es doch.“
„Das gibt es doch gar nicht.“
„Warum spielen die nicht?“
„Die sind uns doch spielerisch total unterlegen.“
„Warum läuft denn da keiner mal die Linie lang.“
„Kein einziges Mal im Strafraum.“
„Was soll das denn?“
„Hinten nichts und vorne gar nichts.“
„Das kann doch nicht sein!“
So – und ähnlich (und nicht leise) brach sich die Sprachlosigkeit in der Pause unter den Männern Bahn.
„Es sind ja noch 45 Minuten.“ versuchte eine Frauenstimme die Gemüter zu beruhigen.
„Aber so nicht.“ kam es mit tiefem Timbre und dialektal stark eingefärbt zurück. (Ein wunderbares Beispiel für Linguisten über das Wesen erfolgreicher Kommunikation qua Illokution.)
„Die sollen sich mal zusammenreißen.“
„Wenn sich da nichts ändert, verlieren das hier noch.“
„Das muss besser werden.“
„Wir müssen uns jetzt steigern!“
„Wir haben ja noch eine Halbzeit.“ variierte die Frauenstimme ihre Aussage und ihren Versuch, Empathie ins Spiel zu bringen, was in einem erneuten Paradebeispiel für Illokution endete: „Wollen wir es hoffen.“
Fakt ist: Wir hofften es alle. Und wie so oft hatten alle Recht – und scheinbar haben auch die Trainer erkannt, dass da mehr zu holen war, wenn man bereit war, mehr zu bringen.
Die zweite Halbzeit war immer noch nicht, was wir uns alle unter eben jedem „nächsten Schritt“ vorstellten, den der Trainerstab mit der Mannschaft gehen will, aber dafür liefen unsere Spieler mehr, sie pressten mehr, sie eroberten mehr Bälle, sie kombinierten weniger fehlerhaft, sie spielten erfolgreicher nach vorne – vor allem, wenn der Ball gespielt und nicht gedroschen wurde –, was zur Folge hatte, dass wir uns Chancen sowohl erarbeiteten als auch erspielten.
Rund ein halbes Dutzend guter und bester Chancen hatten wir in der 2. Halbzeit, denen nur zwei des SC in Durchgang 2 gegenüberstanden.
Aber entweder verfehlten wir das Tor gaaanz knapp (Modeste) oder scheiterten an Torwart und Gestänge (Polanski) oder verirrten uns im Freiraum (Beck), der plötzlich so frei in Straumraumnähe war, dass er gar nicht zu wissen schien in jenem Moment, was er (und) mit dem Ball zu tun ist, nämlich hineinzulaufen und das Ding zu versenken, so dass er den Ball einfach zu lange hielt, zu lange führte und dann zu schwach von zu weit aufs Tor brachte.
Endlich spielten wir ansatzweise so, wie man sich das als TSG-Fan vorstellt. Mit Willen. Nach vorn. Und wer weiß, vielleicht hätte Elyounoussi in der Nachspielzeit den inzwischen verdienten Siegtreffer erzielt, wäre er bei seinem Konter in sehr aussichtsreicher Position von einem der Freiburger nicht mit einer zu fällenden Tanne verwechselt worden? Wurde er aber, also hat er nicht.
So gab es nur „Rot“ für Freiburg und Freistoß für Hoffenheim – und beides zeigte die Schwachpunkte beider Mannschaften auf.
Dass der Trainer der Gäste ein Unikum ist, weiß man. Das fand man anfangs nett und urig, inzwischen ist es nur noch kauzig und geprägt von einer ganz eigenen Sicht der Dinge. Das beginnt bei der auf die Oberbekleidung, denn, was er zu Beginn des Jahres auf einer PK trug (wahrscheinlich assozierte er die Abkürzung nicht mit „Presse-„, sondern „Pyjamakonferenz„), das war nichts für schwache Netzhäute, geht über seine Meinungen zum nächsten Spiel, wo er die Underdog-Karte seines Teams immer und immer wieder spielt, was wie im Falle vor diesem Spiel ja fast schon groteske Züge annimmt, wenn er unseren Verein so darstellt, als ob höchstens Real Madrid gegen uns eine Chance hätte, vorausgesetzt, die Spanier würden noch einmal richtig investieren, bis hin eben zu seiner Wertung der Szene, die zum Platzverweis erst des Spielers und dann seiner selbst führte.
So sehr auch wir ihn bisweilen schon schätzten, so sehr muss man ihn bisweilen auch sehr kritisch sehen, was er mit seinen Worten anrichten kann – und er kann mit Worten umgehen.
Wenn er vor dem Spiel sagt, dass er hofft, dass die Fans Oliver Baumann begrüßen, „wie es ihm gebührt“ ist das rhetorisch gut und demagogisch brillant. Auch sein stetes Lamento im Tenor von „Alle Welt ist gegen uns, weil wir als kleiner Verein, der sich alles hart und mit ehrlicher Arbeit erkämpfen muss, keine Lobby haben.“ ist so falsch wie in den eigenen Reihen gefällig – und gerade deshalb auch gefährlich.
Zugegeben, es gab zuvor strittige Szenen, in denen sich auch unsere Spieler, z. B. Kim nicht wirklich hätten beschweren können, wenn sie mit Geld-Rot vom Platz gestellt worden wären, was sich uns aber erst erschloss, als wir die Szene im Fernsehen sahen. Live war das ein harter Pressschlag, während das Foul an Elyounoussi das Potenzial hatte, sowohl live und noch mehr in der Wiederholung von Husqvarna gesponsert worden zu sein.
Und der Freistoß? Hoch in den Fünfer. In die Hände des Keepers.
Immerhin war es der einzige Freistoß, der grob dort landete, wo er sollte. Die anderen segelten weit drüber, daneben oder kamen erst gar nicht so weit. Also da liegt ebenfalls ein weites Feld im Spiel brach, in dem wir uns stark verbessern können – und in Anbetracht der Pfeifweise deutscher Schiedsrichter und der Enge der Resultate zur Zeit auch dringend verbessern sollten, um weiter oben dran und von unten fern zu bleiben.
Wie schon gegen Wolfsburg macht die zweite Halbzeit Hoffnung.
„Trotzdem …“
„Das müssen wir gewinnen …“
„Da fehlt der letzte Biss …“
„Die müssen einfach mehr wollen …“
„Die waren doch so nah dran …“
Die Meinung der Männer im Stehblock war einhellig, wenngleich ihre Stimmung nicht so tief wie ihre Stimmen, die laut und wild durcheinander gingen.
„Schaad …“ seufzte die Dame der Halbzeit zu Ende des Spiels voll Mitgefühl – und Mann nahm an, dass jene Miss das Spiel meinte und war letztlich einverstanden, zumal man inzwischen auch die Ergebnisse der anderen Spiele kannte.
Es ist ja wieder mal nichts passiert – nicht in der Tabelle und auch nichts unter den Fans in Freiburg. Das Konzept „Betreutes Gehen“ ging also auf.
(Im Zug war das schon etwas anderes. Da gab es dann schon mehr Auseinandersetzungen, wenngleich nur verbaler Art, wo man aber schon den Eindruck gewinnen konnte, eine Veränderung des Tabellenletzten auch nach unten wäre man eher bereit gewesen hinzunehmen, als eine Veränderung des Sitzplatzes im Zug.)
Vielleicht ist das eigentlich ganz sinnbildlich für die Symbiose zwischen Team und Fans:
100% Einsatz gibt es erst, wenn es darum geht, den eigenen Platz zu verlieren. 🙂
Immerhin macht das, wenn dem so sein sollte, Hoffnung für nächste Woche, denn diese Gefahr besteht gegen den nächsten Gegner ganz besonders.
Hoffen wir mal auf das Beste und darauf, dass wie bereits bei der Partie beim Tabellenzweiten auf eine trotz zahlreicher bester Chancen torlose zweite Halbzeit ein Sieg folgt. Und bei der Hoffnung rechnen wir fest mit dem, was unserer Mannschaft nach dem Spiel stets zuteil wurde: unserer Miss Verständnis.
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