1899 Hoffenheim vs. Borussia Dortmund
Volltreffer!
Ein Unentschieden mit Verlängerung
Englische Wochen haben den Vorteil, dass es Schlag auf Schlag geht. Der Nachteil ist, es fehlt an Zeit zur Reflektion. In unserem Fall mag das aber gar kein Nachteil sein, denn die Mannschaft spielte Fußball – und endlich gelang es ihr dabei, ein wesentliches Element des Schwestersports in ihr Spiel zu integrieren, das essentiell ist für ein sowohl konzertiertes Angriffs- als auch konzentriertes Abwehrspiel.
Rugby. Natürlich ist es in dem Sport Teil des Regelwerks, dass immer jeder Spieler hinter dem Ball stehen muss, wenn man ihm verwerten will. Und es ist Teil des Spiels, dass der größte Raumgewinn entweder nur durch eine Einzelleistung des Ballführenden oder eben einen lang nach vorn gekickten Ball möglich ist.
Genau das gelang in Mainz nicht. Hier kam die Mannschaft kaum ihren Gegenspielern hinterher und nur selten hinter den Ball und bekam so nie Kontrolle über den Ball und damit Zugriff aufs Spiel.
Umso überzeugender war die gegen den Tabellenführer gezeigte Leistung nach allen bisher in der Saison gezeigten Leistungen.
Auch wenn Dortmund ein Gegner ist, der uns per se liegt und er in seiner Spielanlage mit denen von Bayern und Bayer zu vergleichen ist, verzichtete Gisdol diesmal auf frühes Pressing. Das führte zwar gegen die anderen zu einem frühen Torerfolg, aber sonst zu nichts.
Diesmal ließen wir es wesentlich gemächlicher angehen, standen tiefer und fokussierten uns erstmals aufs Verteidigen – und das mit zwei Neuen: Bicakcic und Toljan ersetzten die zuletzt unglücklich agierenden Schär und Kim.
Letztlich zahlten sich genau diese Änderungen aus, auch wenn Bicakcic Schär in Sachen griechisch-römisch in nichts nachsteht und ebenfalls dafür sehr früh Gelb sah, so dass man sich doch Sorgen machte. Aber unbegründet, denn nach 20 Minuten, in denen die Gäste laut ihrem Trainer „um den heißen Brei“ spielten, was wahrlich keine schöne Be-/Umschreibung für unser Bollwerk ist, fingen auch wir an, spielgestalterisch aktiv zu werden.
Leider vergab Volland ganz gute Chancen, in denen er entweder zu schwach und unplatziert schoss oder den besser positionierten Mitspieler übersah, aber es wurde erstmals in dieser Saison auch Fußball gespielt.
Objektiv war es nicht wirklich gut. Das Spiel von hinten heraus funktioniert immer noch zu sehr über hohe Bälle mit einer sehr hohen Verlustquote. Auch die Idee, bei Gelegenheit das Spiel durch Abschläge von Baumann schnell zu machen, scheiterte an deren absolut mangelnder Präzision.
Aber wir kamen in die Zweikämpfe und dabei immer öfter an den Ball, sofern der Schiedsrichter dies akzeptierte.
Ja, es gehört nicht zum guten Ton, den Schiedsrichter für etwas verantwortlich zu machen. Fakt jedoch ist: Er traf eine Reihe höchst unglücklicher Entscheidungen, wie das Fastrot gegen Sokrates, der Volland, so wie wir es sahen, mit den Händen von den Füßen holte. Er entschied auf Vorteil, da Vargas an den Ball kam und das auch in recht aussichtsreicher Position, diesen dann aber vertändelte, sodass wieder die Borussen ans Spielgerät kamen, woraufhin es längere Zeit keine Spielunterbrechung gab, was wohl dazu führte, dass der Schiedsrichter Sokrates’ Vergehen vergaß.
Auch dass Rudy im Sechzehner, wenngleich nicht in Ballnähe, aber so doch im Blickfeld des, darf man hier noch Unparteiischen sagen?, ungeahndet gefoult wurde, war mehr als fragwürdig.
Andererseits sorgte die Pfeife damit auch für das Plus an Emotionen auf den Rängen, was der ohnehin nie ganz unvorbelasteten Partie auch gut tat.
Dieser Boykott-Aufruf der Aktionsgruppe „Kein Zwanni für’n Steher“, die sich darüber mokierte, dass der günstigste Sitzplatz 55 Euro kostete, brachte ihnen viel PR und dem Verein eine Spende durch die TSG ein, womit man konstatieren könnte, dass sie alles richtig gemacht haben, wobei sich uns da schon ganz konzeptionelle Fragen stellen wie:
- „Warum engagieren sich Steher für Sitzer?“
- „Warum wurden sie aktiv, da der Stehplatz weniger als 20 Euro kostete?“
Zumindest von Seiten der TSG. Durch die Preisaufschlagspolitik des BVB, der ja fürs Handling kein Fixum als verlangt, sondern eine 10%-Bearbeitungsgebühr plus Porto kann das dann schon über 20 Euro liegen, aber das liegt dann halt am Pricing des Herrn Watzke, der ja ebenfalls Top-Zuschläge erhebt und seinerseits durch unsere Preise zudem Mehreinnahmen generierte. - „Spendet er sie ‚Anpfiff ins Leben’?“
- Abschließend: „Hätte es den Aufruf auch bei einem Samstagsspiel gegeben?“
Nun wurde dieser Punkt vor dem Spiel durch die zum Teil auf großes Unverständnis, zum Teil auf große Anerkennung stoßende Großzügigkeit von Herrn Hopp ad acta gelegt, aber dennoch war das eines der Themen, die zumindest für eine gewisse Bereitschaft sorgten, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen.
Es fehlte nur das passende Vehikel – und das schien dann eben der Schiedsrichter zu sein, unter dessen Leitung der BVB noch kein Spiel verlor – was als informativer, nicht illokutiver Akt zu verstehen ist.
Dann war es aber doch die eigene Mannschaft und allen voran der beste Mann wenn nicht gar auf dem Platz, so doch zumindest in unseren Reihen: Sebastian Rudy.
Wunderbar von Vargas in Szene gesetzt, sich dann behauptet, kühlen Kopf bewahrt, ins lange Eck gezielt und ein klitzekleinwenig Glück gehabt, dass der Ball vom Innenpfosten ins Tor sprang.
1:0 – und das nicht auf Basis eines Fehlers des Gegners, sondern selbst erspielt.
Leider fehlte dieses Glück dem Vorlagengeber dann in Halbzeit 2 gleich zweimal:
Einmal, als er gedankenschnell einen zu kurzen Rückpass eines Dortmunder Verteidigers noch vor dem Torwart erlief und ihn schnell aufs Tor zirkelte. Der Pfosten rettete für Dortmund.
Und das andere Mal, als er wegen Abseits zurückgepfiffen wurde, das keines war. Natürlich passieren solche Fehlentscheidungen immer wieder mal, aber so knapp war das nicht und das Blickfeld war frei, so dass der Linienrichter beste Sicht aufs Geschehen hatte, zumal es noch eine Umschaltsituation war, also nicht viele Spieler umeinand wuselten.
Die Sicht war sogar so gut, dass Gisdol just in dieser Szene genau hinter dem Assi stand und dadurch noch weniger verstehen konnte, dass der die Fahne hob.
Die Folgen sind bekannt: Gisdol fasst es nicht, dafür den Assistenten kurz am Arm, der dann bei der Pfeife laut Aussage Gisdol auf der auch aufgrund Tuchels Worten zur Spielanalyse absolut sehenswerten Nach-Spiel-Pressekonferenz gepienst haben soll: „Er hat mich angefasst. Schick ihn auf die Tribüne.“ Was jener dann tat.
Es war eine Serie von Fehlentscheidungen, zu der sich dann auch noch auch ein nichtgegebener Handelfmeter für die Gäste gesellte, zu dem es aber logischerweise nicht gekommen wäre, da, hätte es 2:0 gestanden, das Spiel ein anderes gewesen wäre: mehr Druck der Dortmunder, mehr Konterchancen für die TSG.
Aber so endete es durch die einzige Unachtsamkeit des ansonsten ebenfalls überzeugenden Toljan letztlich gerecht, wie man so sagt, 1:1.
Wir sagen das nicht. Zwar wurde in den Medien immer wieder die Vielzahl an Chancen der Dortmunder gerade in der Schlussphase hervorgehoben, aber das ist so, als ob man Swarowski mit deBeers vergleicht: Beide machen Bling-Bling, aber Ersteres ist nur geschliffenes Glas, letztere produzieren Edelsteine. Wie viele Chancen der Gäste gingen wirklich gefährlich aufs Tor? Die Karatzahl der Hoffenheimer Chancen war, auch wenn es davon in erheblichem Maße weniger gab, so wie es weniger echte Hochkaräter gibt, wesentlich höher.
Natürlich kann man argumentieren, dass Diamanten auch nur Kohlenstoff ist – das stimmt, aber halt weit mehr wert als heiße Luft, die ja ebenfalls, wenngleich wenig, Kohlenstoff enthält. Aber da sieht man mal, was unter Druck passieren kann. Setzt man Kohlenstoff unter Druck, erhält man einen Diamanten. Setzt man Menschen unter Druck, erhält man Charakter, was ja auch sehr viel wert ist.
Den zeigte die Mannschaft, die ja unter enormem Druck stand und, das macht Hoffnung auf Samstag, immer noch steht. Und den zeigte auch Gisdol, der ganz entgegen der sonst noch sehr lenorigen Performance eine gerade menschlich äußerst überzeugende Pressekonferenz hinlegte.
Natürlich hatte es nicht ganz den Impact der Pressekonferenzen von Verbeek oder Streich (oder den Spaßfaktor Trappatonis), doch auch sie war ein Anfang für einen neuen fairen Umgang aller Beteiligten auf Augenhöhe. Dazu zählt Kritik in beide Richtungen. Wer immer nur alles gefällig will, der soll gefälligst von dannen ziehen.
Wenn alles rund läuft und alles glatt ist, gibt es, das beweist die Geometrie, nur wenig Berührungspunkte und sehr viel Leerraum. Wer mehr miteinander will und dass alle enger und optimal zusammenrücken, der weiß, dass es ohne ein gewisses Maß an Ecken und Kanten nicht geht, siehe Bienenstock.
Hoffen wir, dass die Mannschaft am Samstag in Augsburg ähnlich agiert: kompakt zusammen sein auf engstem Raum, gemeinsam ausschwirren, dabei immer wissen, wo der andere ist, um gemeinsam an den süßen Saft (des (Tor-)Erfolgs) zu gelangen – und notfalls zustechen, was diese Tiere ja auch auf die Gefahr hin tun, dass man sich den Arsch aufreißt.
Hoffen wir also für die Mannschaft aus der Region Rhein-Neckar auf Nektar, sprich: den ersten Saisonsieg.
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