FC St. Pauli vs. 1899 Hoffenheim
Der Dreier mit weißer Weste
Wenig Höhepunkte im Freudenhaus der Liga
Vielleicht ist die TSG nicht wirklich der oft besungene geilste Klub der Welt. Aber nach einer Erhebung des „Fachportals“ (nicht für Fußball) Joyclub haben wir die geilsten Fans. Derzufolge haben 83,9 Prozent der Hoffenheim-Fans täglich oder zumindest 😊 regelmäßig Sex. (Ob nun „regelmäßig“ „einmal die Woche“, „einmal im Monat“ oder „alle Schaltjahre“ bedeutete, ward nicht definiert. Die Zahlen basierten zudem auf Selbstangaben, was bei allem Wohlwollen hinsichtlich der Ehrlichkeit der Hoffenheim-Fans – und besonders bei Online-Umfragen – aus rein akademischer Sicht zumindest Zweifel an der Repräsentativität der Zahlen zulässt. Quelle: Bild-Zeitung)
Was das nun über die rund 750 Fans aussagt, die es am späten Sonntagabend ins Stadion am Millerntor geschafft haben, auch genannt „das Freudenhaus der Liga“, darfst du, geneigte/r Leser/in, für dich entscheiden.
Die Hoffnung der Fans auf ein Lustspiel, ob nun im Stadion in der Nähe der Reeper- oder in den eigenen vier Wänden in der Nähe einer Autobahn (A 5, A 6, A 656 …), war groß – gerade nach dem Stimmungskiller vor der Länderspielpause, wo man doch die Befürchtung haben musste, dass ein weiterer Rohrkrepierer folgt.
In obiger Erhebung gaben die Hoffenheim-Fans an, dass sie es, wenn es um ihre sexuellen Vorlieben geht, gerne „liebevoll und zärtlich“ wollen – also kein „druff unn dawedder“ – und das zeigte sich auch im Spiel.
Es gab ein recht langes Abtasten. Die Gastgeber verhielten sich dabei recht passiv und ließen sich gerne hinten reindrängen, aber da dann erstmal nichts zu. Unsere Jungs machten es ihnen aber auch nicht schwer. In sehr vielen Szenen, in denen sich Chancen für Avancen auf „Vollzug“ (Goethe) ergaben, zogen insbesondere Touré und Kramaric es vor, mit sich selbst zu spielen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich eine wirkliche Lust am gemeinsamen Zusammenspiel entwickelte, aber daraus ergaben sich immerhin Höhepünktchen: Abseitstor von Asllani, Kopfball von Lemperle, Pfostenschuss – alles da, war schon was drin, nur der Ball nicht.
Das wahre Freudenhaus-Feeling wollte sich einfach nicht einstellen, und nach rund 30 Minuten war es dann auch völlig verpufft. Da begannen dann die Hausherren, die Initiative zu ergreifen, was unsere Hintermannschaft nicht so recht zu begreifen schien. Da waren immer wieder riesige Löcher, in die die St. Paulianer hineinstießen, allerdings fehlte ihnen im letzten Moment die Präzision und Härte in den Abschlüssen. Und als einer ihrer Stürmer kurz vor der Halbzeit doch einmal völlig blank vor Baumann stand, wurden ihm nicht die Knie weich, sondern zum Problem, weil er dadurch die Kontrolle über das Spielgerät verlor – Deutschlands Nr. 1 aber behielt die Nerven, ganz im Gegensatz zu uns.
Also wir hätten in der Halbzeit Touré (zu selbstverliebt), Kramaric (zu lasch) und Hajdari (zu lahm) auf jeden Fall ausgewechselt. Ja, man muss das so deutlich auch kundtun. Weil das vielleicht nicht schmeichelnd ist, aber ehrlich. Und wenn alle Hoffe-Fans so wären, wären wir ja folglich doch die geilsten Fans der Welt (s. o.).
In der 2. Halbzeit konnten die Gastgeber nicht an ihre Leistung vor dem Halbzeitpfiff anschließen. Zum Glück aber auch nicht die von uns Gescholtenen Drei. Zwar fehlte immer noch die totale Gier, zum Schuss zu kommen, aber wir kontrollierten Ball, Gegner und damit auch das Spiel deutlich besser. Und auch das Zusammenspiel klappte deutlich besser – und dann endlich sogar perfekt: Sensationspass à la Messi oder Kroos, nur halt von Kramaric auf Touré, der gerade noch so mit der Pike an den Ball kam und zum längst überfälligen 1:0 für die TSGeil einnetzen konnte.
Ein millimetergenaues Zuspiel, das auch millisekundengenau kam, denn just zum Zeitpunkt des Abspiels von Kramaric stand Touré nicht im Abseits. (Wir sind uns sicher, dass der Verteidiger der Hamburger die nächsten Wochen sein Bein-Beine-Po-Trainingsprogramm reduzieren wird.)
Unser Stürmer, der mit über 37 km/h mal wieder der schnellste Spieler der Partie war, erreichte diesen Ball aber auch nur wenige Millimeter und Millisekunden vor seinem Gegenspieler – gerade noch so, was super war, denn nach seiner bisherigen Leistung war die Gefahr groß, dass er, wäre er besser an den Ball gekommen, ihn sonst hätte verdribbelt. Tat er aber nicht und erzielte dafür sein 1. Bundesligator – und uns mit unserer fundierten Halbzeitanalyse bloßgestellt.
Unsere Hosen dbzgl. haben wir ja schon oben runtergelassen – und wir wollten diese gerade wieder richten, als wir auf unserer rechten Seite im Grunde auf der Außenlinie einen perfekten Kombinationsfußballangriff aufzogen. Also statt wir unsere Beinkleider, zog unsere Mannschaft das Tempo an: Doppelpass folgte auf Doppelpass und auf den finalen Bogenpass folgte das perfekte Zuspiel auf Kramaric, der dem Angriff zentral folgte und zum perfekten Zeitpunkt den Ball perfekt traf und folglich auf 2:0 erhöhte.
Damit machte er sich wohl auch selbst eine große Freude, war das doch ein Treffer unserer 27 gegen den 27. Gegner, gegen den er in der Bundesliga spielte. Insgesamt waren es 28, aber dass er das auch noch schafft, liegt an dem Team selbst, gegen das er mal in der Bundesliga spielte, aber bisher nicht traf: Greuther Fürth.
Jetzt war das zumindest unser Freudenhaus. Wir konnten uns entspannen und sinnieren: Woher rührt eigentlich der Ausdruck „Freudenhaus“?
Er ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Im Begriff selbst wurde das per se Anrüchige (Sex – und das noch gegen Geld mit Prostituierten) euphemistisch, volkstümlich und humorvoll positioniert. Schließlich habe man da ja „nur Spaß“. Ein Euphemismus, der sich heute noch auf Dating-Plattformen wiederfindet, allerdings zumindest damenseitig meist nicht positiv goûtiert wird.
Er ersetzte den Begriff des Bordells, der aus dem Altfranzösischen kam (als Deminutiv von bord = Rand, Hütte, Bretterverschlag → bordel = Häuschen, Hütte) und bereits im 14.–15. Jahrhundert ins Deutsche Einzug hielt – und ganz andere Bilder im Kopf auslöst: Armseligkeit, Schmutz – und dennoch, oder gerade deswegen, fand man dort vor allem Männer aller gesellschaftlicher Couleur.
Dem Begriff des Freudenhauses gelang es zudem, den Terminus Puff etwas zu verdrängen. Dieser kam aus dem Rotwelschen, der „Gaunersprache“, und bezeichnete ursprünglich im 18. Jahrhundert zunächst Lärm, Tumult, Unordnung – in diesem Sinne wäre es nicht unpassend gewesen, die TSG der letzten Saison als Puff zu bezeichnen –, später Orte sexueller Dienstleistungen. Dieser Begriff verkörpert also die volkstümliche, derbe Seite des Lasterbegriffs.
Aber dieses „Laster“ wurde im Deutschland der 1960er nahezu in sein Gegenteil verkehrt. Es wurde zumindest für eine gewisse Klientel einer gewissen Generation zum Lebensstil erkoren („Wer zweimal mit der gleichen pennt, gehört schon zum Establishment.“).
Das hatte natürlich auch Auswirkungen auf alle, die sich nicht in diesen (Studenten-)Kreisen aufhielten. Sex war nicht mehr „Bäh“ und käuflicher Sex auch nicht mehr tabu, sondern inszeniert – halt im Geiste der damaligen Republik, die noch ein Gefühl für Geschäfte hatte und immer noch den Hang zu bürokratischer Kreativität: Das Eroscenter war geboren.
Das klang nach Bildung (Eros, griech. Gott der Liebe), Auswahl und Weltoffenheit (Center waren damals das, was Malls heute sind: riesig, amerikanisch).
Die Reise von Freudenhaus über Bordell und Puff zum Eroscenter ist zugleich eine Reise durch die Geschichte der gesellschaftlichen Einstellung zu Sex, Macht und Moral:
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- Vom euphemistischen, ironischen Versteckspiel
- über den gesellschaftlichen Spiegel der Macht und Doppelmoral
- zum derben, volkstümlichen Ausdruck
- schließlich zum rationalisierten, ökonomisierten Dienstleistungsort
Die Sprache zeigt uns unsere Doppelmoral: Was einst ein verstecktes Vergnügen war, wird nach und nach enttabuisiert, aber gleichzeitig immer wieder ästhetisiert, politisiert oder kommerzialisiert. Dann wird es moralisiert.
Und halten wir noch kurz inne – auf dem Platz passiert nicht viel gerade – und sehen die Parallelen zum Fußball.
Spielten wir früher noch auf dem Platz, dann im Stadion, dann in der Arena. Erst trafen sich dort nur Männer aus den unteren Schichten, dann aus allen. Es war oft schmuddelig, die Sprache derbe, körperliche Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen. Dann aber wurden die Plätze insgesamt ästhetisiert, politisiert und kommerzialisiert. Und dann moralisiert – vor allem je nach eigener Façon, abhängig von eigenem Verein oder sozialem, wirtschaftlichem Interesse.
Gemeinsam ist aber Eroscenter, Puff, Freudenhaus oder Bordell und Fußballstadion: Sie sind beides Orte der gesellschaftlichen Wahrheit.
Vielleicht sollte man sich mal überlegen, ob diese (Wahrheit) wirklich nur auf dem Platz liegt.
Nein, sie steht und sitzt auch da – ganz gleich, ob bei einem vermeintlichen Kapitalistenverein wie die TSG Hoffenheim oder einem ebenso vermeintliche als revolutionär-anti-kapitalistisch angesehenden Club mit eG wie der FC St. Pauli.
Der tat sich sichtlich schwer mit dem Zwei-Tore-Rückstand. Überließ er uns doch gut eine Stunde das Spiel, um uns so zur Heim-Mannschaft zu machen (und in der Rolle machen wir uns ja noch nicht so gut), war es nun an ihnen, aktiv zu werden, was ihnen aber mal so gar nicht behagte. Zudem verteidigten wir das in unserer Hälfte sehr offensiv, so dass kein rechter Spielfluss aufkommen wollte, aber immer wieder zu Ballverlusten führte. Einen solchen nutzte Burger, der Kramaric zeigte, dass er sehr gut aufgepasst hat: Er spielte ebenfalls perfekt steil zwischen die Schnittstellen, Prömel erlief den Ball und netzte ein zum Endstand von 3:0.
Fazit:
Wieder ein Auswärtssieg. Aber endlich mal seit langem wieder zu Null – mit ein bisschen Glück, wegen des zu Recht nicht gegebenen Abseitstores, denn in der Szene verteidigten wir wirklich mies. Aber egal: Treffer zählt, 3:0 ist alles, was zählt. War es der beste Dreier aller Zeiten? Nein, aber kein Mensch, der recht bei Sinnen ist, erwartet den auch im Freudenhaus, also dem der Liga.

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