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Neurospasmata

Alles andere als ein Kinderspiel

Fußball ist manchmal ein Leckerbissen, oftmals schwere Kost, aber kein Gericht. Obwohl – nicht selten ist es ein Prozess. Auf jeden Fall werden gerne, wie vor einem AmTSGericht 🙂 in der Mehrzahl von Laienrichtern, Schuldige gesucht und Urteile gefällt. Und dabei werden gerne Strafen und Konsequenzen gefordert, denen nicht selten jegliche Grundlage fehlt – vor allem juristische.

Das gibt es allerdings auch in echten Gerichtsprozessen, wo die Volksseele in der Regel gerne härtere Strafen hätte. Dabei gibt es nicht wenige Studien, die belegen, dass höhere Strafen zumindest im Strafrecht nicht zu weniger schweren Delikten führen. Und Kenntnis zu Milde. Ja, auch dazu gibt es wohl Untersuchungen, die eine reziproke Relation von Kenntnistiefe und Bestrafung herstellen, d. h. je weiter man weg ist, je oberflächlicher das wahre Wissen rund um das Verbrechen, desto härter das Urteil. Und das erinnert doch sehr die … räusper … Sozialen Medien, die ja gerne einem Tribunal gleichkommen, wie man es auch Herrschaftsformen kennt, die man auch nur dann haben will, wenn man auf der Seite „der Guten“ ist bzw. sich dort zumindest wähnt. Nennen wir sie mal … absolutistisch. Gegenbeweise? Werden ignoriert. Indizien? In die Tonne. „Ich habe Recht!“, postuliert der (Meinungs-)Führer (oder -in). „Basta!“

So wird bei den Forenfans der TSG, die gerne wie umgangssprachliche Horsts „argumentieren“, oftmals allein die Präsenz eines Gegners nicht zur Kenntnis genommen oder wenn, dann derart schlecht dargestellt, was ja ebenfalls schon ein Urteil bar jeglicher Fairness ist, dass das eigene Urteil als plausibel oder sogar gerechtfertigt soll erscheinen lassen.

Das wäre auch eine schöne Definition für die Überschrift, was aber damit nicht meint ist, auch wenn „neuro“ und „spasma“ das vermuten lassen. Es handelt sich dabei vielmehr um das, was Fußball auch ist: ein Kinderspiel. Und das auch im Sinne einer Sache, die sehr einfach zu verstehen und zu hand- (fuß-)haben ist.

Aber man muss halt auch Verständnis für die Umstände haben.
Nun, es sei denn, es geht um Mord. Und das tut es nicht. De jure.

Nur mal so:

In §211 des Strafgesetzbuches wird in Absatz 2 definiert, dass …

Mörder ist, wer
aus Mordlust,
zur Befriedigung des Geschlechtstriebs,
aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Sollte nur einer dieser Punkte zutreffen, ist man immer ein/e Mörder/in – und muss, wie in Absatz 1 definiert, immer mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft werden.

Natürlich wirst du, geneigte/r Leser/in, dem völlig beipflichten, eventuell sogar abwinken, und meinen, dass das ja „nur“ 15 Jahre seien, was 100% nicht stimmt, was aber einen mal überlegen lassen könnte, was man seit 2009 eigentlich Schönes erlebt hat.

(Das soll aber im Falle dessen, dass es da nichts gab, als Aufforderung gemäß § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) verstanden werden.)

Nach 15 Jahren kann man erstmals einen Antrag auf Aussetzung der Strafe zur Bewährung stellen.

Genau das ist der Unterschied dazu, wenn ein Gericht „die besondere Schwere der Schuld“ feststellt, wo nach 15 Jahren ein Gremium festlegt, ab wann ein/e solche/r Täter/in überhaupt einen solchen Antrag stellen darf.

Richtig so? Nun, es bedient die Lust auf Strafe, gerade der Nichtbeteiligten, was ja meist daher rührt, dass diese sich mit dem Opfer identifizieren. Das ist auch nur eine Form der Hybris.

Was ist jetzt aber mit einer Frau, die seit 10, vielleicht 15 Jahren von ihrem Mann geschlagen und vergewaltigt wird, der ihre Kinder körperlich und eventuell sexuell missbraucht, und die diesen Menschen im Schlaf ersticht? Mit einem Stich? Oder mit 100? Ist sie das Opfer?

Vor Gericht ist sie eindeutig als Mörderin zu verurteilen. Die Tat erfüllt mehrere Mordmerkmale: (heimtückisch („im Schlaf“), gemeingefährliche Mittel („Messer“) und, wenn man ganz herzlos sein möchte, aus niedrigen Beweggründen („Rache“)), und muss folglich nach § 211 (1) lebenslang hinter Gitter. Basta!

Was lernen wir daraus?

Genau so argumentiert ein Forenfan, der von der Mannschaft erwartete, dass sie dieses Spiel mit maximaler Power würde angehen und durchhalten können. Kalt. Herzlos. Woher resultieren denn diese harschen Urteile?

Vielleicht liegt da doch ein Krampf (med. „Spasmus“) im Kopf vor?

Das wäre natürlich schön gewesen, wenn die Mannschaft leicht und locker, dynamisch und forsch aufgetreten wäre.

Aber wir rekapitulieren:

      • 19. Oktober (H) – vs. VfL Bochum
      • 24. Oktober (A) – vs. FC Porto
      • 27. Oktober (A) – vs. 1. FC Heidenheim
      • 30. Oktober (H) – vs. 1. FC Nürnberg
      • 2. November (H) – vs. FC St. Pauli
      • 7. November (H) – vs. Olympique Lyonnais

Und nun ging es zum 7. Spiel in 22 Tagen in Fugger- und so was wie die deutsche Hauptstadt der Neurospasmata – und so gut es eigentlich in den Pokalwettbewerben lief, in der Liga lief es besch…weniger gut. Kann man da realistisch erwarten, dass die Mannschaft besch….wingt auftritt?

So viel zu unserer Rekapitulation. Und es gibt auch keinen Anlass zur Kapitulation …

Natürlich hätte uns ein Spiel weit über Bundesbezirksliganiveau besser gefallen. Aber dazu braucht es ein eingespieltes Team. Aber in der ersten Halbzeit zeigte die Mannschaft, dass sie stattdessen überspielt ist. Und motiviert … Kaderabek mit der schnellsten gelben Karte seit Gründung der Bundesliga nach 8 Sekunden.

Und trotzdem – immerhin – hat sie sich vom Gegner, der nicht das Dauerprogramm englischer Wochen hat, nicht überspielen lassen.

Und wann und wie sollte sich die Mannschaft, die ja erst Wochen nach Beginn des Ligabetriebs ihre jetzige Zusammensetzung fand – durch wen auch immer –, bei der Taktung einspielen können?

Man kann sich als halbwegs reflektionskompetenter Mensch eigentlich nur über sich selbst ärgern, dass man das auch tut – reflektieren –, denn ganz offensichtlich lebt es sich auf dem Niveau von (bestenfalls) Kohlberg 2 deutlich einfacher.

    1. Stufe – Die Orientierung an Strafe und Gehorsam: In der ersten Stufe orientieren sich diese nicht an moralischen Ansprüchen, sondern im Wesentlichen an wahrgenommenen Machtpotenzialen. Die von Autoritäten gesetzten Regeln werden befolgt, um Strafe zu vermeiden.
    2. Stufe – Die instrumentell-relativistische Orientierung: In der zweiten Stufe erkennen Kinder die Gegenseitigkeit menschlichen Verhaltens. Rechthandeln besteht darin, die eigenen Bedürfnisse und gelegentlich die von anderen als Mittel (instrumentell) zu befriedigen. Menschliche Beziehungen werden vergleichbar mit der Austauschbeziehung des Marktes verstanden. Sie orientieren ihr Verhalten an dieser Gegenseitigkeit, reagieren also kooperativ auf kooperatives Verhalten, und üben Rache für ihnen zugefügtes Leid.

Nur zur Info: In der „Kognitiven Entwicklungstheorie des moralischen Urteils“ von Lawrence Kohlberg gibt es mindestens sechs Stufen. Also nicht nur bei der Mannschaft – spielerisch wie auch tabellarisch – vor allem aber bei diesen Forenfans noch viel Luft nach oben.

Ja, wir haben nach zehn Spielen nur 9 Punkte. Aber es gibt gravierend mildernde Umstände (s. o. sowie das Lazarett (Bebou, Kabak, Prömel, Becker, John)) und die werden im Allgemeinen bei der Straftatzumessung berücksichtigt – außer eben bei Mord.

Zu unserer ganz großen Überraschung war es aber unsere Mannschaft, die stärker in die 2. Halbzeit startete und dies auch durchhielt.

Scheinbar hatte sie sich wohl im 1. Durchgang das Laktat aus den Beinen gelaufen. Und auch der Ball lief deutlich besser und auch vieles besser, manches sogar richtig gut zusammen, aber es fehlte halt an Chancen und der Konsequenz im Abschluss. Das ist schade, aber kein Schwerverbrechen und – nach den letzten Wochen – schon gar kein Kinderspiel.

Immerhin wirkte die Defensive deutlich stabilisiert. Ja, das dritte Bundesligaspiel ohne eigenes Tor hintereinander, aber halt auch ohne Gegentor. Das ist ja auch nicht das Schlechteste.

Man kann nicht immer nur er-, man muss auch mal abwarten – und vertrauen. Und der Auftritt des Teams in der Stadt der Figuren, als die so mancher Verantwortliche bei der TSG bezeichnet wird, gibt dazu Anlass.

Diese Figuren sind diese „Neurospasmata“. Damit sind aber nicht nur die Mehrzahl dieser Figuren (durch Sehnen oder Fäden bewegte Gliederpuppen (Zusammensetzung aus altgr. νευρόσπασμα / νευρόσπαστον für „Sehne, Faden“ und „ziehen“)) gemeint, sondern bisweilen auch die Kunststücke selbst, welche mit diesen, wie sie im TSG-Umfeld genannt werden, Marionetten (dt. „Mariechen“) vollführt wurden oder das Spiel insgesamt wiedergibt – und das ist alles andere als ein Kinderspiel.

Dabei sind ja nicht die Marionetten das Problem auf dem Feld, sondern dass da ein Strippenzieher fehlt, einer, der die Fäden in der Hand hält, der die Bewegungen der Akteure bestimmt und lenkt.

Aber auch da gibt es erste Anzeichen, dass sich das verbessert.
Lag zuletzt diese Verantwortung nur bei Bischof, scheint sich Grillitsch mehr und mehr mit dieser Rolle anfreunden zu können. Zusammen mit Tohumcu machen die drei das schon nicht schlecht. Also Defensive stabilisiert, das Mittelfeld halbwegs sowohl intakt als auch im Takt, jetzt braucht es nur noch vorne einen Turboablader – und Ruhe im Umfeld, also keine Neurospasmen irgendwelcher Neurospasmata.

Möge die Länderspielpause dazu dienen, dass die Nerven nicht mehr so blank liegen und dann können und sollten sich die Gegner nicht nur des Wetters wegen warm anziehen. 🙂

 

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