Borussia Mönchengladbach vs. 1899 Hoffenheim
Die Remiskönige
Läufer schlagen Türme, aber immer noch keiner die „Bauern“ 🙂
Traditionalisten und einfach Fans des Sports, der sich bis heute ja nicht wesentlich geändert hat, tun sich schwer sich daran zu gewöhnen, dass es eben nicht mehr die Altvorderen sind, die den Ton angeben, wo markige Sprüche alles bedeuten und alles medial als Krieg dargestellt wurde.
Heute sind die Dinge anders, die Akteure jünger, das Drumherum stiller – und trotzdem ist es spannend, weil es zwar sehr viele Unentschieden, auch immer wieder Überraschungen gibt. Die Führung war so eine, denn Karjakin spielte in Schwarz:
Ach so, pardon, wir sprechen hier von der aktuell in New York stattfinden Schach-Weltmeisterschaft zwischen eben jenem Russen Sergej Karjakin (26) und dem (noch) amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen (25).
Sieben Unentschieden. Gab es vorher. Genau so viele wie unsere TSG aktuell auf ihrem Konto hat. Und damit die meisten aller Bundesligisten. Doch dieses Unentschieden war weniger mit dem gegen den SV Darmstadt 98 oder dem gegen den HSV, dafür eher mit dem gegen den VfL Wolfsburg zu vergleichen, denn letztlich war es eher ein Punktgewinn denn zwei verlorene Punkte, alldieweil die bessere Chancen hatten wir nicht.
Und auch die erste Hälfte der ersten Halbzeit erinnerte an ein klassisches Schachspiel, bei dem beide Kontrahenten sich dieselbe Strategie zurechtgelegt hatten, wobei die Hoffnung darin bestand, den Gegner durch eine defensive Taktik seinerseits zu Offensivaktionen zu verleiten, um dann seinerseits zu kontern.
Schon eine Stunde vor Anpfiff ahnte man, dass man diesmal eine Mannschaft sehen würde, wie man sie bisher noch nie gesehen hat. Kein kreativer Spieler im Mittelfeld, dafür Kramaric, Wagner UND Szalai in der Startelf, das überraschte noch mehr, als die Skisprungschanze, die neben dem Stadion aufgebaut war.
Entsprechend träge entwickelte sich das Spiel. Und leider entwickelte es sich so ganz und gar nicht, wie Julian Nagelsmann und sein Team es sich wohl vorgestellt haben, denn die Gastgeber setzten auf ein flexibles Spiel mit Läufern (Raffael und Dahoud) und Springern (Kramer und Stindl), das es der TSG nicht erlaubte, ihre Türme (Wagner und Szalai) in Szene zu setzen.
Zudem sorgte diese Variante so peu à peu für Löcher in der defensiven Zuordnung, so dass es den Gastgebern hin und wieder gelang, auf die Grundlinie durchzubrechen. Selbiges gelang unserem Team in der ersten Halbzeit nie. Wir hatten nur eine Chance – und der Fernschuss von Polanksi kurz vor der Halbzeit war auch eher zufällig – da lagen wir einerseits schon, andererseits nur mit 1:0 zurück, nachdem Schär, der den verletzten Vogt ersetzte, eine sehr unglückliche Figur bei der Abwehr eines Angriffs über die Flügel abgab.
Es hätte auch höher sein können, aber bis auf den einen Schuss hielt Baumann alles, was auf seinen Kasten kam.
Nun kommt es beim Fußball wie beim Schach nicht auf die Figuren auf dem Feld an, sondern vor allem auf den, der sie bewegt. Und jenen Menschen, die diesen Akteur beraten, indem sie parallel zum Geschehen stets versuchen, das Spiel des Gegners zu analysieren, um eine bessere Option für den weiteren Spielverlauf zu bekommen.
Im Schach drückt sich das erst in den Folgepartien aus. Aber der Druck für Carlsen war natürlich hoch, denn die WM ist auf zwölf Partien angesetzt. Und da der Weltmeister wird, wer zuerst 6,5 Punkte hat, war so ein voller Punktgewinn für den Herausforderer ein auch psychologischer Vorteil. Von daher blieb ihm nicht viel Zeit, den Rückstand wettzumachen und seine Strategie grundlegend zu überdenken, denn seine Zermürbungstaktik ging nicht auf. Zur großen Überraschung seiner selbst und der Fachwelt lag er hinten. In seinen beiden bisherigen Finals sowohl 2013, als er den Titel gegen Anand holte, als auch 2014, als er ihn gegen denselben Gegner verteidigte, holte er jeweils drei Siege und beendete das Turnier vorzeitig.
Nun hatte er nur noch vier Partien Zeit. Dass die neunte wieder remis endete, war schon einmal gut für sein Selbstbewusstsein, zumal er diesmal mit Schwarz spielen musste, aber halt schlecht in puncto Zeit. Doch Carlsen bewies in der 10.Partie Nervenstärke und glich dank
zum 5:5 aus. Kenner erkennen schon am ersten Zug, dass er diesmal die klassischere Variante der Spieleröffnung nutzte. Diese Eröffnung mit dem Königsbauern ist aber auch bekannter und damit auch leichter zu verteidigen. Man brauchte also schon einen sehr genauen Plan, ein absolut fehlerfreies Spiel und Ausdauer. Sechseinhalb Stunden dauerte die Partie. So viel Zeit hatte die TSG bei weitem nicht. (In sechseinhalb Stunden wären die Partien gegen Köln, Frankfurt und Dormund bereits gespielt und die letzte Viertelstunde der letzten Partie 2016 gegen Bremen angebrochen. – Nur mal um ein Gefühl für die Zeit zu bekommen, die so ein Spiel dauern kann.)
Ihr blieben noch 45 Minuten, aber die Systemumstellung gab es gleich zu Beginn der 2. Halbzeit. Die Türme Schär und Szalai verließen den Platz zugunsten der Läufer Uth und Amiri. Polanski zog sich mehr in die Defensive zurück und Rudy war damit wieder der alleinige Mittelfeldstratege.
Diese Umstellung zahlte sich aus, auch wenn die Gastgeber die erste Chance auch im zweiten Durchgang hatten. Amiri und Uth waren sehr schnell im Spiel integriert – und auch motiviert. Dieses Plus an Variabilität sorgte dann auch für eine temporär fast 100%ige Zweikampfquote zugunsten unserer Mannschaft sowie folglich zunehmendem Verlust von Kontrolle und Zuordnung in der Abwehr der Gladbacher. Die fast schon logische Folge: der Ausgleich durch den eingewechselten Amiri, der sehr frei aus nicht ganz 20 Meter zum Schuss kam.
Mangelnde Chancenverwertung konnte man unserer Mannschaft wahrlich nicht nachsagen, denn das war die eigentlich erste wirklich herausgespielte. Weitere folgten, wobei der Gegner aber seinerseits nicht nachließ, unsere umformierte Defensive, die ja so noch nie zusammengespielt hat, in die Bredouille zu bringen, was ihr leider immer wieder und sehr gut gelang.
Doch auf die Chance der einen Mannschaft folgte fast zwangsläufig die Chance der anderen. Moderner Fußball, wie man ihn heute fast nur noch sieht, eine Mischung aus eben Schach und Handball mit seinen einstudierten Spielzügen, war das nicht mehr. Das war ein Rauf und Runter mit allen Höhen und Tiefen sowie eben Chancen hüben wie drüben.
(So ungefähr muss sich das legendärste Schachfinale aller Zeiten Spasski gegen Fischer anno 1972 angefühlt haben, wobei da noch mit allerlei Psychotricks gearbeitet wurde. (Vor etwas mehr als sechs Monaten kam der Film zum Finale unter dem Namen „Bauernopfer“ in die Kinos.)
Letztlich waren es fast ausschließlich Ex-Hoffenheimer Spieler, die für die entscheidenden Momente und Akzente in den letzten Minuten des Spiels sorgten. Vor allem Vestergaard sorgte mit seinem Fast-Eigentor sowie seinem hohen Beim im Strafraum für beste Chancen für die TSG. Der regelkonforme indirekte Freistoß aus 15 Metern hätte sehr gefährlich werden können, aber leider traf er statt dem Tor Amiris Oberschenkelchen. Naja, und dann war es Johnson, der frei auf Baumann zulief, ihn überwand, aber seinen Schuss mit einem Schuss zu viel Effet versah, so dass er unglaublicher- bzw. glücklicherweise am Tor vorbeiging. Das tat dann auch diese Partie – und heute Abend die Schachweltmeisterschaft.*
Da steht nach jetzt neun Remis beim Stand von 5,5:5,5 die letzte Partie an. Sollte die ebenfalls Unentschieden enden, gibt es eine Verlängerung im Blitzschach mit genau so vielen Partien, wie unsere TSG 2016 noch zu spielen hat: vier. Und sollte dann immer noch kein Sieger feststehen, dann .. ach, lest doch einfach selbst … 🙂
Wie oft wir in den nächsten vier Partien als Sieger vom Platz gehen werden, weiß zum Glück niemand. In Anbetracht der Gegner wäre nur einmal ebenso möglich wie viermal, denn eines hat die Saison bisher gezeigt: jeder kann jeden schlagen – nur bei uns vom Dorf („Bauern“) – und dem Noch-Tabellenführer („Bullen“) ist es zum Glück bislang keinem gelungen – in der Liga.
Im Pokal schon. Und genau gegen das Team geht’s nächsten Samstag. Da freuen wir uns doch schon auf eine mögliche Revanche – und das Team bestimmt auch, so dass wir uns schon mal sicher sind, dass unser Team diese 90 Minuten hoch motiviert und engagiert, aber eines mit Sicherheit nicht sein wird: matt.
* Wer Lust aufs Finale bei der Schach-WM hat: ab 20.00 h u.a. hier live …
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schlagen wir sie doch einfach „en passant“…
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