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SC Freiburg vs. 1899 Hoffenheim

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Die hohe Kunst der Langeweile

Ein Kick wie ein Menschenleben
in 90 Minuten plus Nachspielzeit

So stellt man sich das Leben vor: spannend, aufregend, abwechslungsreich. Ein steter Wechsel zwischen Höhen und Tiefen, das große Drama im kleinen Alltag. Man hofft darauf, dass es letztlich immer aufwärts geht, auch wenn man weiß, dass es mal gehörig abwärts gehen kann. Aber immerhin – so tröstet man sich – geht es von da irgendwann wieder in die andere Richtung. Und dann …

Und dann merkt man, dass dieses stete Auf und Ab gar nicht so erquicklich ist. Es zehrt an den Nerven, kostet Kraft, ist anstrengend – und macht vor allem Angst: Befindet man sich auf einer Hochphase, fürchtet man schon deren Ende. Steckt man hingegen in einem Abwärtstrend, erscheint es, als ginge er ewig so weiter. Das ständige Schwanken zwischen Euphorie und Sorge ist ein Zerren, das viel Kraft kostet und wenig bringt.

Ja, angeblich stärkt es einen einen mental, aber macht es wen wirklich kräftiger? Lieber wappnet man sich vor Unbill.

Deshalb versucht man, dieses Auf und Ab abzumildern – im wahren Leben mit Haftpflicht-, Hausrats-, Berufsunfähigkeits-, Zahnzusatz-, Unfall- , Rechtsschutz-, Reiserücktritts- und vielen weiteren VERsicherungen, die einen Schaden zumindest finanziell auffangen, sofern er denn eintritt. Im Fußball mit ABsicherungen, die idealerweise verhindern, dass ein Schaden – sprich: ein Gegentor – überhaupt entsteht.

Nach der letzten Partie wollte die TSG Hoffenheim genau das verbessern – vor allem bei Standards. Doch schon nach rund drei Minuten musste der leidgeprüfte TSG-Fan frustriert feststellen: wieder einmal ging es schief. Führung für die Gastgeber nach der ersten Ecke. Der tapfere TSG-Fan konnte aber nach dem Spiel beglückt feststellen: Es ging nur ein Mal schief – trotz insgesamt sechs Ecken und 15 Freistößen für die Freiburger.

Die Hoffenheimer selbst kamen auf acht Ecken und neun Freistöße, doch wirklich gefährlich wurden wir damit nur ein Mal: in der 90. Minute durch Damar. Drei Minuten zuvor hatte Lemperle eine hundertprozentige Torchance vergeben, mustergültig von Bebou vorbereitet. Dazwischen? Passierte eigentlich nichts – bis, ja, bis auf den Ausgleich zehn Minuten nach der Freiburger Führung, eingeleitet durch einen kapitalen Bock des Gegners, den Coufal und Asllani eiskalt zu Ende spielten.

So dominierte die TSG phasenweise das Geschehen, vor allem in der ersten Halbzeit, wo sie mit hohem Pressing den Gegner weit vom eigenen Tor fernhielten und immer wieder Ballgewinne erzielten – jedoch ohne je in wirklich aussichtsreiche Positionen zu gelangen. Von der 10. bis zur 85. Minute also Leerlauf?

Nun, kann man so sehen – oder anders, größer. Ja, man kann dieses Spiel durchaus auch als Parabel auf das Leben lesen.

In der ersten Hälfte war viel Druck zu spüren, in der zweiten ging es gemächlicher zu.
Der Fokus lag weniger auf dem Erreichen eigener Glücksgefühle (hier: Tore) als vielmehr auf der Vermeidung von Unglücksgefühlen (hier: Gegentore).
Es ging zwar hin und her, aber ohne wirkliche Höhepunkte.
Und zum Ende hin wurde nochmal Gas gegeben – nicht unbedingt, weil es noch dringend nötig war, sondern weil man eben das Gefühl hatte, dass „nochmal was passieren“ sollte. Aber eben nicht um jeden Preis, nicht „auf Teufel komm’ raus“.

So gesehen war es eine reife Leistung unseres Teams. Denn so langweilig das Spiel für Zuschauer auch gewirkt haben mag: genau darin liegt die hohe Kunst. Langeweile ist kein Mangel, sondern ein Zustand, den man aushalten und gestalten lernen muss.

Philosophisch betrachtet ist Langeweile eine Schwester von Meditation und Kontemplation. Sie zwingt bzw. ermöglicht uns, den ständigen Drang nach Reizen und Ablenkung zu zügeln bzw. „sich ’n Kopp“ zu machen, was man gerade verpassen und/oder machen könnte. (Und es klingt ja auch besser zu sagen: „Ich meditiere.“ als „Ich denke an nichts.“ bzw. Ich bin in einer Phase der Kontemplation.“ als „Ich mach‘ nix!“)

Wer beides erträgt, der gelangt zu einer Form der Gelassenheit, die in unserer Welt fast schon revolutionär wirkt, sowie zur Erkenntnis (oder Einsicht), dass das Leben nicht immer Spektakel ist, und es auch gar nicht so gut ist, wenn es das wäre.

„Die Langeweile ist der Beginn der Weisheit.“
Søren Kierkegaard

Ja, als Fan erwartet man sich von einem Spiel etwas Spektakuläres, aber halt immer auch ein Sieg. Zumindest wünscht man sich den. Und wenn er nicht eintritt? Kommt auf den Gegner an. Letzte Woche war die Toleranz da bestimmt höher als sie es diesmal gewesen wäre – auch wenn der Gegner sich in der letzten Saison für die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb qualifiziert hat.

So haben wir in fünf Partien viermal gegen „UEFA-Teams“ gespielt und wider Erwarten nur zwei davon verloren. Auch dieses nicht.

Auch wenn diese Partie in der Tat ein Spiel ohne große Höhepunkte war, ist ja auch das schon mal ein Gewinn – ganz so wie man das Leben als solchen empfindet, wenn es nicht von schmerzlichen Niederlagen gerade zum Ende hin geprägt war – in dem Fall, trotz der vergebenen Lemperle-Riesenchance in der 87. Minute: ein Punktgewinn.

 

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