SC Freiburg vs.1899 Hoffenheim
Ein hochhackiges 3:2 im Baden-Derby
Warum Ball-Lust nicht zu den Todsünden zählt
Wer am Ostersamstag als Auswärtsfan unterwegs war, kam schon während der Anreise in höhere Sphären des Genusses: konnte man doch im Auftrag der Fantreue quasi auf dessen gesamter Länge das „schönste Land in Deutschlands Gau´n“ bei frühlingshaftem Wetter durchqueren. Und durfte später, endlich im Stadion angekommen, erst die sehenswerte blauweiße Choreo der TSG-Auswärtskurve bestaunen (selten!) und danach volles Rohr ohne störendes Gegenkonzert das Badnerlied schmettern (noch seltener!).
Das beliebte Werk wurde vermutlich um 1865 aus einem heute weitgehend vergessenen Sachsenlied umgedichtet, der sogenannten Sachsenhymne. Es hat sich immerhin hinauf bis zum Nato-Gipfel 2009 hinaufgekraxelt. Damals wurde das 60-jährige Bestehen des Verteidigungsbündnisses gefeiert und die ganze Sause gleichzeitig in Kehl, Baden-Baden und Straßburg begangen.
Das Badner Lied wurde abgespielt, während die beteiligten Regierungschefs über die Passerelle des deux Rives Deutschland in Richtung Frankreich verließen (Ach! Damals noch … mit Obama … ob er wohl mitgesummt hat? Zumindest gilt er als musikalisch, wenngleich er Badens Hymne offiziell nicht in die im letzten Jahr veröffentlichte Liste seiner 25 Lieblingssongs mit aufgenommen hat).
Da hatte es das Sachsenlied in puncto politischer Anerkennung schwerer, was insbesondere dem Umstand geschuldet war, dass das Lied ob seines Ursprungs als Jubel-Ouvertüre zum 50. Thronjubiläum von König Friedrich August I. ein wenig zu monarchiefreudig für eine moderne Demokratie schien. Für Fußballstadien dagegen taugt so etwas gerade deswegen hervorragend. Was die inoffizielle Landeshymne Badens, freilich hochoffizielle Fußballhymne des Südwestens angeht, müssen sich die gebeutelten Hoffenheimer Stadionbesucher ja nun schon in zweiter Saison mit der aus dem Trompeter von Säckingen des badischen Schriftstellers v. Scheffel hinzugefügten Strophe „Alt Heidelberg, Du feine ….“ begnügen. In quantitativer Hinsicht ein herber Verlust, auch rein gesanglich, denn kaum dass jeder seinen Bierbecher abgestellt und den Schal nach oben gewuchtet hat … ist der akustische Höhepunkt des Vorprogramms jedes Mal auch schon wieder rum.
Als es losging, war einem allerdings weniger feierlich zumute, als es dieser lokalpatriotisch aufgeladene Textopener nahelegt. In den vergangenen 11 Spielen hatte die Mannschaft gerade mal einen Sieg geholt, gegen den badischen Derbyrivalen zuletzt vor dreieinhalb Jahren. Immerhin gingen die Spiele gegen die Freiburger immer, wenn nicht unentschieden, so doch stets knapp aus mit nur einem Tor Differenz. Ein Badengehen im Badenderby schien also wenigstens nicht so arg wahrscheinlich. Die Verletztenliste oder auch – pardon – chronische Unsicherheit, mit welcher Formation denn aufzulaufen klug und/oder möglich sei, hatte uns in der laufenden Saison den Erstligarekord von 34 bisher eingesetzten Spielern eingebracht, und in der Presse hatten wir neuerdings das hämische Attribut „Tiefschlafmeister nach Jokern“ weg. Dazu kam noch die Aussicht auf den personifizierten Derbyschrecken Griiifo.
Als schlimmster Lustkiller im Vorfeld fungierten allerdings die sachlich vorgebrachten, etwas dürren, um nicht zu sagen asketischen Worte unseres Immernochtrainers aus der Pressekonferenz vom Vortag, welche wir noch in den Ohren hatten (passend zum Karfreitag? – die Österreicher sind ja bekanntermaßen weit überwiegend katholisch). Unser Immernochtrainer hatte von einem „Minimalziel“ gesprochen sowie von einem „nach wie vor nicht stabilen Konstrukt auf allen Ebenen“. In Form einer wahren Motivationsexplosion brachte er dann noch den absoluten Knallergedanken zu Gehör, wonach „gegen eine intensiv spielende Mannschaft du einfach schwer ein gutes Gefühl auf den Platz kriegst“. Spätestens da, also schon am Karfreitag, sehnte man sich nach kleinen lustvollen Wellness-Elementen, Prosecco und Schwarzwälderkirsch und nahm freudig und dankbar zur Kenntnis, dass Akpoguma am Spieltag seinen 30. Geburtstag feiern und Oliver-„the wall“-Baumann, von Nagelsmann geadeltes Paraden-a-gogo-ablieferndes Jahrhunderttalent, sein 400. Bundesligaspiel haben würde, was den um fachliche Analyse bemühten Trainer dann doch noch zu einem unerwartet emotionalen Ausbruch hingerissen hatte: ein solches Jubiläum „schreie“ ja geradezu nach einem „Zu-Null-Spiel“. Den Breisacher aus dem Feindesland, den wir jedoch alle längst als unseren Oli titulieren, hatte es 2014 vom Süden Badens nach dessen Norden gezogen. Und das ist auch gut so!
Das intensive Spiel selbst hatte viel zu bieten. In der ersten Halbzeit sogar noch mehr, als man verkraften konnte. Denn die ersten 45 Minuten sowie insbesondere die angezeigte dreiminütige, realiter fünfminütige Nachspielzeit, bargen vier Tore, aus dramaturgischen Gründen fielen die beiden Tore der TSG jedoch erst in der 47. und 49. Minute. Die Mannschaft SPIELTE und hatte offensichtlich auch LUST drauf.
Zum ersten Mal liefen wir in der gleichen Startformation auf wie zuletzt gegen Mainz – ein naheliegender Gedanke zur Begründung wäre, dass wir ja schließlich gegen Mainz gewonnen hatten. Kramaric war gut drauf und überall zu finden, gab innerhalb der ersten acht Minuten gleich mal zwei aussichtsreiche Torschüsse ab, bis sich Freiburg trotz pressender Hoffenheimer mehr und mehr in die Partie begab. Touré wuselte so schnell er konnte, war aber meistens eng eingekeilt von geschickt verteidigenden Freiburgern. Bülter stellte gut die Laufwege (der Gegenspieler) zu und bediente mehrfach passgenau dieselben (der eigenen Spieler). Spätestens als man dachte, die Führung für Hoffenheim läge in der Freiburger Luft, gelang dem SC eine sehenswerte Kombination und die Führung. Und dann stand es da, das 1:0. Aber es war entgegen dem Orakel unseres Immernochtrainers kein Killer fürs Wohlbefinden. Die TSG machte weiter, fing sich in der 36. Minute noch ein fein herausgespieltes 2:0. Manzambi und Akpoguma sollten an diesem Tag keine Freunde mehr werden. Die oft beschworene Freiburger Abschlussschwäche hatte offenbar Osterpause. Das Spiel noch nicht, und Dank Bülters Willen und Kramarics Drop-kick stand es zur Verblüffung Hunderter bereits Pommes holender Stadionbesucher 2:2 zur Pause. Nach dem Wiederanpfiff SPIELTE immer noch vorwiegend die TSG – und das immer mehr. Vorzuwerfen hatte sie sich möglicherweise das 3. Tor der Gastgeber (Griiifo gab den Assist, das Ungeheuer lebt), das etwas zu einfach fiel. Oli-the-wall-Baumann perfektionierte zunehmend die Technik des sogenannten langen Balls, welche im vorangehenden Spielbericht etwas arg negativ bewertet wurde. Die langen Bälle bergen ja auch ausgesprochen positive Aspekte, verkörpern sie doch – jenseits schnöder Berechnungen über Raum und Zeit – die Kunst, sich experimentierfreudig dem Ziel zu nähern; denn wo sie landen – beim Gegner, im Aus, beim bevorzugten Mitspieler, ist überaus spannend und nur bei Vorhandensein einer gewissen spielerischen LUST überhaupt zu ertragen. Als stabile Bestandteile eines „Ebenenkonstrukts“ jedenfalls sind sie, um die weisen Worte unseres Trainers zu zitieren, sicherlich weniger geeignet.
Die katholische Kirche hat der Lust ja strenge Riegel vorgeschoben. Ganz schlimm ist die WOLLUST (Luxuria; Ausschweifung, Genusssucht). Sie gilt als eine der sieben Todsünden und ist im Gegensatz zur Zeit der Entstehung dieses Begriffes im 11. Jahrhundert, in der er im Sinne von Wohl-Lust für Wohlergehen und Freude am Dasein stand, später zum Inbegriff des Sichgehenlassens, der Zügellosigkeit und der Unzucht geworden. Darin steckt auch das Suchtelement, welches den Wollüstigen immer mehr in eine Isolation und Ichbezogenheit treibt. Ganz anders steht es um die BALL-LUST. Sie scheint sich bei der Mannschaft durchzusetzen, ja geradezu gegen die Widrigkeiten der saisonsbegleitenden Umstände nicht nur zu behaupten, sondern sogar zu verstärken. Sie spielen miteinander, sie spielen füreinander, und sie spielen erstaunlich elastisch – was die offizielle Zuordnung ihrer Positionen angeht. Entgegen der möglicherweise eher der WOLLUST zuzuordnenden Dildo-Metaphern der sportlichen Führung könnte sich da das Musikvideo „I have the ball-lust“ als Motivationsverstärker und Resonanzmedium für die Mannschaft anbieten, gesungen von The Fab Four, einer 1997 gegründeten californischen Musikband, die sich der Beatles-Hommage verschrieben hat. Der Effekt der BALL-LUST auf den gruppendynamischen Zusammenhalt ist dort wunderbar herausgearbeitet.
Im Video ist der an sich schon etwas LSD-trächtige Beatlessong „I am the walrus“, den John Lennon in einem Schöpfungsanfall als aus drei völlig unzusammenhängenden Themen zusammengehauen hat, da er keine Disziplin hatte, seine einzelnen Gedankengänge bis zum Ende schnöde durchzutexten, umgedichtet und zu einer Golfparodie erhoben. Man beachte den mehrfach (Kramaric, Bischof, Touré) fast ins Loch fallenden Golfball, der es dann doch nicht ganz schafft. Lennon hatte den lustvoll – spielerischen Albernheiten seines grotesken Songs noch eins draufgesetzt, als er erfuhr, dass ein Lehrer (nein, kein Fussball- sondern Englischlehrer) seinen Schülern aufgetragen hatte, einen Beatles-Text zu „analysieren“. Daraufhin dichtete er ihn noch wilder um. Herausgekommen ist Kultstatus. Den wünscht man den Kickern unseres Dorfvereins auch. Eines Tages. Und er wird kommen. Denn alle Lust will Ewigkeit, wie wir von Nietzsche wissen.
Die TSG hatte nach dem bitteren Abpfiff 19 vs 12 Torschüsse, 19 vs 9 Flanken und 6 vs 2 Eckbälle zu verzeichnen sowie deutlich mehr Ballbesitz. Insofern durfte die Mannschaft – bei unverändertem Tabellenplatz und weitgehend gesicherter Spielklasse – hochhackig den Platz verlassen und die Heimreise durchs Badner Land antreten. Blöderweise fehlt uns gegen den nächsten Gegner Tom Bischof. Er hatte sich eine fünfte Gelbe eingehandelt und außerdem ein bisschen zu viel geschimpft. Aber das, was in den letzten zehn Minuten vom für ihn eingewechselten Finn Ole Becker zu sehen war, lässt einem gegen Dortmund nicht allzu bange werden. In diesem Sinne:
„Don’t let this spoil your fun though“.
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