1899 Hoffenheim vs. FC St. Pauli
Rumgurken.
Das fehlende Rezept mit ohne Gschmäckle.
Fußball ist in unserer Kultur wohl DIE Metapher schlechthin fürs Leben zum Verlassen der Metaebene. Immer wieder versucht man mittels des schönen Spiels hochkomplexe Zusammenhänge durch einen Bezug zum schönen Spiel verständlich zu machen.
Da steht mal wer im Abseits, einem/einer/etwas anderem muss die gelbe/rote Karte gezeigt werden, es wird auf Zeit gespielt, reingegrätscht. Da wird gerne mal ein Ball aufgenommen oder zurückgespielt, wenn er nicht gerade beim Gegner im Feld liegt. Und nicht minder gern wird immer wieder betont, dass es nicht auf die Einzel-, sondern die Mannschaftsleistung ankommt und die Wahrheit auf dem Platz liegt.
Tut sie das? Wirklich?
Was interessanterweise so gut wie nie betont, genauer: abstrahiert wird, ist die Tatsache, dass jedes Spiel mit einem Einlauf beginnt. Und selbst, wenn das wer anders sieht, dann kann man sich zumindest darauf einigen, dann beginnt es mit einem Anpfiff.
Du siehst hier schon, geneigte/r Leser/in, es geht auch umgekehrt: von der Metapher zur Metaebene:
Ganz gleich, wie man das für sich entscheidet, entscheidend ist, beides beginnt mit einer harschen Kritik in Form eines längeren und nicht selten auch inhaltlich wie lautstärkentechnisch vehementen Monologs, in dem es keinen Platz für Positives gibt – und selbst, wenn das mal Erwähnung finden sollte, wird es sofort durch eine noch vehementere Negation zunichte gemacht.
Genau das aber ist im Leben dankenswerterweise in mindestens 99% der Fälle nicht so. Obwohl ein/e jede/r von uns nahezu ausnahmslos zu Beginn des eigenen einem Menschen sehr, sehr großen Schmerz bereiteten und mit großem Geschrei das Licht der Welt erblickten, werden wir gerade von dem Menschen, dem wir gerade in dem Moment körperlich extrem zugesetzt haben, mit sehr viel Liebe in Empfang genommen, wohl, weil wir bei ihm, genauer: ihr auch sehr viele positive Hormone freigesetzt haben. („Mama“).
Würden wir uns aber der obigen Metapher schematisch anschließen wollen, müssten wir auch diesen Spielkommentar mit einem Einlauf beginnen, über / auf die Mannschaft schimpfen, die Ein- und Aufstellung, den Trainer, den Verein, aber das wollen wir nicht, denn es wäre nicht nur falsch (moralisch), es wäre auch nicht richtig (metaphorisch).
Falsch wäre es, weil man nicht auf am Boden Liegende eintritt. Oder sich triumphierend über sie stellt und sich sowohl dabei als auch damit auch noch selbst inszeniert. Das ist nur selbst- und wird dem Spiel nicht gerecht – zumindest nicht ab Anpfiff.
Die ersten Minuten waren nämlich alles andere als eine schwere Geburt. Wehen? Taten nur die Fahnen. Dafür gab es sehr viel Geschrei. Ja, der Support der Süd war da – und super. Und so auch das Spiel unseres Teams.
Wir hatten die Gäste ähnlich im Griff wie eine Hebamme ein Neugeborenes. Von Anfang ließen wir Ball und Gegner laufen, aber leider halt auch beste Chancen aus. Diese kreierten wir immerhin. Der Auftritt der Anfangsviertelstunde wurde einer Mannschaft, die im Achtelfinale des DFB-Pokals und gut platziert in der Tabelle der UEFA Europa League steht, zuhause gegen den Tabellen-16. spielt, sehr gerecht. Alles sehr souverän, sehr schön anzuschauen und sehr überraschend dann der Rückstand. Aus dem Nichts und mit viel Glück, denn gewollt war das so auch vom Schützen nicht.
Aber der Gurkenball war drin – und da hatten wir den Salat.
Während jener (im Video) Lust auf mehr macht, war der Jubel des Torschützen vor unserer Kurve eher das, was man einer Gurke auch oft nachsagt, was sie sei: geschmacklos.
Aber das – wie auch das Ergebnis zu diesem Zeitpunkt – kann man ja locker wettmachen, indem man dem Ganzen Würze gibt und das Ganze cremig gestaltet. Das Problem war nur: Der Mannschaft fehlte das Rezept, aus dieser Gurke an Gegentor etwas Geschmackvollen zu gestalten. Ihr ging die Schärfe aus. Und der Rest war weniger frisch als Käse, bestenfalls Quark. Aber auch der passte bestenfalls wie Prass und Grillitsch: schlecht.
Wir, der Akademikerfanclub, versuchen ja immer originell zu sein. Nach Möglichkeit wollen wir uns thematisch nie wiederholen, sondern unsere Betrachtungen zum Spiel immer wieder in ein neues Thema einbetten, so dass du, geneigte/r Leser/in, immer etwas Neues erfährst, lernst, und nach Möglichkeit positiv überrascht wirst.
Leider gelingt das nicht immer, was du uns hoffentlich nachsiehst, aber wir haben an dieser Stelle nun schon Kommentare zu rund 700 Spielen der TSG veröffentlicht, und da immer wieder was zu finden, was bisher noch nicht Thema war, ist nicht immer einfach.
Andererseits muss man es mit dem Wunsch nach Originalität auch nicht übertreiben und darf sich auch mal wiederholen, wenn es denn passt, zumal sich auch nicht jede/r an alles erinnert. 🙂 In dem Falle aber müssen wir auf einen Gag (?) aus dem vorletzten Spielbericht zurückgreifen …
Das Gegenteil von Passspiel ist Prassspiel. Und leider versucht sich der Grazer mehr noch als Grillitsch an Grazie, woran beide aber aktuell elegant scheitern. Beide erwecken den – hier auch schon des Öfteren auch bei anderen Spielern, insbesondere bei Geiger erwähnten – Eindruck, dass sie versuchen, in puncto Virtuosität ihren Konsolenavataren in nichts nachzustehen. Das Nachsehen hat die Mannschaft, denn die Folge sind permanente Ballverluste. (Woher die Passquote von 84% rührt, ist ein Rätsel. Nimmt man die Anfangsviertelstunde raus sowie alle Zuspiele in der eigenen Hälfte, würden schon 50% überraschen.)
Wenn aber so ein erfahrener Spieler wie Grillitsch das Spiel in so einer Situation – einem idiotischen Rückstand und noch weit über eine Stunde zu spielen – nicht beruhigen und/oder ordnen, strukturieren, und auch Kramaric weder den Ball behaupten noch sich sowie seine Mitspieler inszenieren kann, tut es auch nicht wunder, dass nichts bzw. nach vorne gar nichts geht. Und WIR jetzt auf Platz 16 in der Bundesliga stehen.
Was wesentlich mehr wunder tut, ist, dass und in der Folge, warum sich die Mannschaft in einer Situation des Rückstands so schwer tut – und hierbei kommt natürlich gerade den erfahreneren Spielern wie Grillitsch und Kramaric in solchen Momenten genau diese Aufgabe zu – und nicht unseren Eigengewächsen, die ja allesamt noch junges Gemüse sind.
Sie deshalb aber als Gurkentruppe hinzustellen, ist zumindest metaphorisch falsch.
Obwohl … das liegt vielleicht an der Metapher selbst, denn sie steht ja für etwas Negatives, obwohl das vom Kern her ebenso wenig stimmt.
Wie „Quantensprung“. Das Wort steht ja sinnbildlich für einen riesigen Fortschritt, obwohl ein Quantensprung selbst einen für sich genommen zu unscheinbaren Vorgang innerhalb eines Atoms beschreibt, als dass er einzeln überhaupt beobachtet werden kann.
Wir sind geradezu das Gegenteil einer Gurkentruppe, denn …
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- … eine Gurke enthält die Vitamine, A, B, C und K.
- … eine Gurke enthält Silizium, ein Mineralstoff, der gut für Haut, Haare und Nägel ist.
- … eine Gurke ist reich an Kalium, Jod, Mangan und Schwefel.
- … eine Gurke steckt voller Antioxidantien, die eine entzündungshemmende Wirkung haben.
- … eine Gurke bekämpft freie Radikale, die Zellen vor vorzeitiger Alterung schützen.
- … eine Gurke wirkt säurebindend.
- … eine Gurke hilft gegen Mundgeruch. (Die enthaltenen Phytochemikalien neutralisieren unangenehme Gerüche. Für einen noch besseren Atem sollte man eine Gurkenscheibe auf die Zunge legen und sie für eine halbe bis ganze Minute gegen den Gaumen drücken.)
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Zudem wirkt der Verzehr von Gurken positiv auf Knochen- und Gelenkerkrankungen wie Gicht und Rheuma sowie auf Dickdarmkatarrh und Geschwüre. Sie sollte möglichst mit der Schale gegessen werden.
Wer sie aber nicht essen will, für den gibt es ja noch das Elixier dieser Gattung aus der Familie der Kürbisgewächse, insbesondere der beiden bei uns beheimateten Sorten, von denen es insgesamt über 50 gibt: der Salat- bzw. Schlangen- sowie der Einlege- oder Gewürzgurke: das Gurkenwasser. Das kann dabei helfen, Blutzuckerspiegel und Blutdruck im Gleichgewicht zu halten.
Alles positive Aspekte, aber es braucht für den Genuss halt schon Geschmacksverstärker, aber bei uns fehlte nicht nur Pfeffer.
Statt dessen machte die Mannschaft das, was wir leider nicht zur Hand hatten: Rumgurken.
Das Rezept hierzu ist ja erdenklich einfach: reinlegen. Aber selbst das gelang unseren gegen die Kiez-Kicker nicht, die das zugegebenermaßen klug anstellten. Sie warteten auf Konter, bekamen diese und den letzten legten sie uns rein. 0:2. Relegationsplatz.
Irgendwie unerklärlich.
Aber so eine Erklärung stellt einen Akademiker nicht zufrieden. Und ein solcher stellt seine Ergebnisse ja immer wieder auf den Prüfstand und sich in Frage. Sind wir vielleicht doch eine Gurkentruppe?
Schließlich wurde der Kader erst NACH der eigentlichen Saisonvorbereitung finalisiert. Seitdem hatte Matarazzo kaum bis keine Gelegenheit, Standards auf dem Platz, aber auch denen im Kopf zu trainieren. Da kann ja niemand erwarten, dass wir in der Tabelle oder auf dem Feld gleich obenauf sind.
Nein, wir liegen auf Platz 16 darnieder – und das ist vielleicht sogar gut.
„Hä?“, magst du, geneigte/r Leser/in , dich jetzt fragen. „Was soll daran jetzt positiv sein?“
Nun, angenommen wir sind eine Gurkentruppe, dann können wir zuversichtlich bleiben, denn die Gurke ist eine einjährige Feldpflanze, die niederliegend (Status quo) und kletternd (Status bald?) wächst.
Europa, wir kommen!
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Spaß. Außerdem kommt Europa zu uns. Donnerstag. Olympique Lyonnais. Und wir freuen uns drauf, obwohl wir in der Tabelle sogar noch zwei Plätze schlechter stehen, aber vor AS Rom, Manchester United, Beşiktaş Istanbul, OGC Nizza und Dynamo Kiew. Gar nicht schlecht, ne?, für so ’ne „Gurkentruppe“. 🙂
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