1899 Hoffenheim vs. Bayer Leverkusen
Gute Besserung
Der weite Weg von Potenzial bis optimal
Die Wut der herangezüchteten Event-Fußballer spürte man kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit. Die Gäste erzielten nach einer Demonstration modernen Kurz- und Schnellpassspiels das 0:2. Schon da gewann bei so manchem Besucher die Erkenntnis, dass er, je früher er geht, desto weniger weiter frieren muss. Außerdem kein Stau und der Sohn kommt pünktlich ins Bett, schließlich hat er morgen wieder zur 1. Stunde Schule.
Und rund 20 Minuten später, nachdem Bayer gegen eine sich nicht wirklich wehrende Hoffenheimer Mannschaft das 0:3 erzielte, wurde es licht auf den Tribünen. Die Kraichgauer pfiffen nicht, sie stimmten mit den Füßen ab. So begann schon eine gute Viertelstunde vor Schluss der Rückzug der Sitzkissen und Wolldecken.
Es ist bei den Temperaturen ohnehin immer schön zu sehen, dass die Zuschauer heute nicht mehr ins Stadion gehen oder pilgern, sie scheinen eher umzuziehen. Voll verkleidet und bepackt geht es in die Betonkathedrale, dem Ort der Hoffnung. Sähe dies ein Außenstehender, er könnte keinen Unterschied erkennen, ob die Leute ins Stadion gehen oder einer Rheumadeckenverkaufsveranstaltung kommen.
Die Menschen kamen auch diesmal – trotz fünf Spielen ohne Sieg nicht nur voller Produkte zur Abwehr klimatischer Einflüsse an Körper und in Händen, sondern auch voller Erwartungen – und diese wurden, ja, was jetzt? Enttäuscht? Nicht enttäuscht?
3 Euro ins Phrasenschwein, aber Fußball ist ein Ergebnissport – und das stimmte letztlich nicht. Und das Wie stimmte noch weniger – oder besser, stimmte sehr, sehr nachdenklich.
War es in der ersten Halbzeit noch so, dass die Mannschaft nach dem frühen, dummen und unnötigen Gegentor (nach einem Freistoß, bei dem der Ball ein gefühltes Jahr unterwegs war, blieben Ibisevic am Fünfer und Hildebrand auf der Linie stehen, so dass nur der Leverkusener an den Ball kam und ihn frei durch die Beine unseres Keepers zwischen die Pfosten der Tores schob. Schad.) engagiert, motiviert und zeitweise auch wirklich gut weiter mit und nach vorne spielte, spielten die Gäste nach dem 0:2 mit unserer Elf Katz und Maus.
Das lag natürlich an der Führung und der spielerischen Klasse des Gegners, aber auch an der Nichtexistenz eines Willens, das Spiel doch noch zu drehen. Es gab schließlich auch an diesem Spieltag Beispiele dafür, wie man auch einen 2:0-Rückstand noch zumindest zu einem Punktgewinn in weniger als zehn Minuten wenden kann. Dabei hatten wir noch 40 Minuten, aber unsere Spieler kein Konzept, keinen Mut, niemanden der bereit und in der Lage war zu sagen: „Ruhig. 40 Minuten noch. Nicht nervös werden. Die sind heute nicht so stark. Da geht noch was.“
Stattdessen ergaben sie sich ihrem Schicksal, was den Unmut der Zuschauer zum Ende gut erklärt. Vielleicht lag es aber auch daran, dass da eine Mannschaft in blaue Jerseys auf dem Platz stand, die er nicht kannte. Ba, Weis, Maicosuel verletzt; Vorsah, Obasi beim Afrika-Cup, da war der ordinäre Hoffenheimheimspielebesucher überfordert, als der Stadionsprecher ins Mikro jubelte „spielt jetzt MA-NU-EL …“ … hmmmm … sein sachliches „Gulde“ beendete die peinliche Stille.
Aber auch ein A-Jugendspieler darf rennen, darf sich gegen eine Niederlage wehren. Bei aller Nachsicht ob der Personaldecke und der Unerfahrenheit der Spieler, der Zuschauer zahlt für ein Erstligaspiel in der Fußball-Bundesliga der Herren, nicht der A-Jugend – und damit gehen auch gewisse Erwartungen einher – oder man erfindet ein völlig neues Preismodell, wo es Nachlässe gibt, wenn eben unerfahrene Spieler auf dem Platz stehen.
Doch nicht die neuen waren das Problem. Im Gegenteil, sie waren sogar ein Lichtblick, auch wenn sie zum Teil unstruktiert (Zuculini) oder unglücklich agierten (Vukcevic), sie zeigten Engagement, sie kompensierten den Mangel an spielerischer Klasse durch Einsatz – eine Methode, die Deutschland mindestens zwei Weltmeisterschaften einbrachte.
Dagegen agierten einige der Stammspieler, von denen man gerade in solchen Situation erwarten darf, dass sie die Nerven bewahren und die Jungen führen, ihnen ein Vorbild sind, wenig vorbildlich. Compper war schlicht schlecht und Salihovic, der sich erfreulicher weise diesmal nicht immer erst einmal einen Freudenkreis um den Ball drehte, wenn er ihn am Fuß hatte, brachte auch diesmal keinen Ball gefährlich in den Strafraum. Überhaupt kann keiner unserer Spieler flanken. Beck? Nein. Gustavo? Nein. Eduardo? Auch er konnte es nicht.
Und dabei konnten unsere Spieler sich seit langer, langer Zeit mal wieder Chancen aus dem Spiel heraus erarbeiten – und das gegen den souveränen Tabellenführer. Die erste Halbzeit war – und das darf man nicht vergessen – wirklich gut. Ibisevic vergab eine 95%, Vukcevic eine 100%. Das 1:0 der Gäste zur Halbzeit war für sie sehr schmeichelhaft.
Unsere Mannschaft spielte wirklich gut. Sie kombinierte und lief. Sie kämpfte und blies ein ums andere mal zum Angriff. Aber Ibisevic war allein und wurde leider zu selten steil angespielt. Die Anspiele gerieten meist zu kurz, so dass es dann kein Problem für die Abwehr des Gegners war, den Angriff 20 Meter vor dem Tor abzufangen. Und wenn es über die außen ging, ging zu wenig Gefahr von den Hereingaben aus. Die Mannschaft zeigte also in der ersten Halbzeit schon, dass sie und welches Potenzial sie hat – und in der zweiten ihr Problem. Es ist immer weniger eine Mannschaft.
So sehr die spielerische Qualität der Einzelspieler abnimmt, so sehr potenziert sich die spielerische Heterogenität der Mannschaft. Es scheint mehr ein „Ihr-“ als ein „Wir-Gefühl“ in der Mannschaft zu herrschen – und das ist wirklich ein Problem. Denn die Mannschaft kann Fußball spielen. Und sie kann auch gegen Mannschaften wie den Herbstmeister sehr gut bestehen. Aber gewinnen kann sie nur, wenn sie nicht als elf Spieler auftritt, sondern als eine Mannschaft.
Sie präsentiert sich unter Wert, unter ihren Möglichkeiten und nach einem Rückstand unter aller Sau. Das muss nicht sein. Es muss die Leichtigkeit wieder her, auch wenn gerade das einigen wohl sehr schwer fällt.
Wir glauben aber, gibt man den Spielern wieder ihren Spaß zurück, haben sie und machen sie wieder Spaß – und nur darum geht’s. Und drei Punkte.
Wer weiß: Vielleicht klappt es ja wieder mal und wider den Unkenrufen schon nächste Woche? Und dann? Hätte die Mannschaft nach den ersten drei Spielen der Rückrunde mehr Punkte als nach der ersten drei Spielen der Hinrunde. Und dann sähe doch alles gleich wieder ganz anders aus. Aber eben nur dann …
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