1899 Hoffenheim vs. VfL Wolfsburg
9 G …
Was ist Wahrheit?
Von Anfang an stand die Wahl des Trainers unter keinem guten Stern. Ja, er habe einen großen Namen und ja, natürlich hat er sich auch bereits seine Meriten verdient. ABER. Passt er zum Verein? Ist sein Temperament das Richtige? Alles Fragen, die zeigen, wie groß der Zweifel der Fans an der Wahl des Chefcoaches war. Dann aber ließ sich die Saison sehr gut an und die Zweifler verstummten. Das wird sich aber auch wieder ändern, denn nach dem Spiel fand Mark Peter Gertruda Andreas van Bommel, dass seine Mannschaft ein gutes Spiel gemacht habe.
Eingefleischten Wolfsburg-Fans dürften da ihren Ohren nicht getraut haben, aber wir wollen hier nicht länger spaßig über den Trainer der Gäste reden, sondern über den Ernst, genauer: Ernst Gräfenberg.
Dieser Mann (er-)fand vor rund 75 Jahren etwas, was für einen Großteil der Menschheit als Inbegriff von Freude und Lustempfinden gilt – und es war nicht der Fußball an sich.
Den gab es da im Grunde schon 100 Jahre. Es war aber auch nicht der Elfmeter, der 1891 ins Regelwerk mitaufgenommen wurde, oder der Strafraum, obwohl man auch den Bereich, der heutzutage in der Spielberichterstattung gerne auch als „gefährliche Zone“ bezeichnet wird, wie auch die nach Gräfenberg benannte Zone weder exakt ertasten noch erfühlen kann. Aber dafür kann jeder Laie und jede Laiin jene seit Mitte der 1890er Jahre rechteckigen Bereiche vor den Toren problemlos mit bloßem Auge erkennen, während der seine weder von Toren noch ExpertInnen unter dem Elektronenmikroskop gesichtet werden kann. Und doch gibt es Männer und vor allem Frauen, die steif und fest an seine Existenz glauben. Viele reiben sich daran und nicht selten erreichen diese Interaktionen ihren nicht selten gespielten Höhepunkt, was sich dann zumindest in der Nähe von Los Angeles, sei es nun in Hollywood oder im San Fernando Valley, in lautem Geschrei endet.
Was ist nun wahr? Was man sieht? Oder was man spürt?
Einerseits wird ja seit nicht wenigenMonaten wieder sehr darauf gepocht, dass man ausschließlich der Wissenschaft vertrauen möge (ohne zu definieren, was „die“ Wissenschaft ist), andererseits wird auch immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, seinem Gefühl zu vertrauen. Was also ist Wahrheit?
Fand oder erfand der bis Ende der 30er-Jahre in Berlin praktizierendenGynäkologe jüdischen Glaubens den kaum mehr als eine Münze großen Bereich, die Gräfenberg-Zone, besser bekannt als „G-Punkt“, oder hat die Sexualmedizinerin und Gynäkologin Cornelia Friedrich recht, wenn sie sagt: „Der G-Punkt ist in der Sexualmedizin tatsächlich so etwas wie der Yeti der Naturwissenschaft.“
Was also ist Wahrheit?
Braucht es überhaupt einen G-Punkt? Braucht es 2? Oder 3? Internetintensivnutzer/innen wollen mindestens 5 G, während sich die breite (mediale) Öffentlichkeit an dem Thema reibt und zumindest die Gemüter erregt, ob 2G oder 3G richtiger sei, wobei es dabei interessanterweise gar nicht mehr ums GG geht. Und so weit sind die Themen gar nicht auseinander, denn es geht um Viren letztlich faktisch immer noch unbekannter Herkunft und deren Abwehr. Und die unsrige, also nicht deine, geneigte/r Leser/in, sondern die der TSG scheint besonders anfällig für ihn, der das auslöst, was man in der Fachliteratur encephalitis lethargica nennt. Die Schlafkrankheit. Diese trat vor rund 100 Jahren erstmals im Zusammenhang mit der Spanischen Grippe auf, allerdings konnte 2001 nachgewiesen werden, dass es da keinen Zusammenhang gibt, denn in archivierten Gewebeproben 2001 fand man keine Influenza-RNA. Deshalb geht man einfach nur weiter davon aus, dass ein das Zentralnervensystem angreifendes Virus die Krankheit, andere nennen es: Seuche auslöste, das man aber bis heute nicht kennt.
Unserem Trainerstab dürfte es ähnlich gehen. Denn auch diesmal starteten wir maximal lethargisch ins Spiel. Es dauerte fast vier Minuten, bis wir erstmals kontrolliert in des Gegners Hälfte waren. Und es wurde im Laufe der Halbzeit kaum besser. Die Mannschaft scheint resistent zu sein gegenüber der 3G-Regel, die ansonsten dazu da ist, das aktive Leben und das Miteinander zu ermöglichen, besser noch: zu fördern. Denn gewiss hatten die Verantwortlichen der Mannschaft eingeimpft, dass sie vom Anpfiff weg voll da sein müssen, darauf gehofft, dass die Mannschaft aus den Fehlern der beiden letzten Begegnungen gelernt hat, also genesen sei – und deren Fitness sowie Spielbereit- und -leidenschaft im Training getestet. Doch statt einer dynamischen Mannschaft repräsentierte sich unser Team als eine Gemeinschaft voller Antikörper.
Geschockt.
Wie zuletzt fand man das, was auf dem Spielberichtsbogen als Startelf ausgewiesen wurde, als nachweislich bedenkenlos. Aber was diese dann taten, fanden nicht wenige geradezu bodenlos. Da klappte nichts. Da passte nichts. Und wenn mal wer passte, dann ins Nichts. Alternativ fing man dann an zu flanken, was gegen eine Abwehr, die gefühlt mindestens einen halben Kopf größer war als unser Sturm, einen anfangen ließ, nicht nur an den Fähigkeiten unserer Spieler im untersten Körperbereich zu zweifeln.
Genervt.
Die Erklärungen nach den letzten Spielen waren schon sehr nervenstrapazierend. Zwei Mal hintereinander mehr oder weniger dasselbe. Das kann ein Hinweis auf einen Mangel an Wortschatz sein oder auf einen an Spielverständnis, -lust und -leidenschaft, noch schlimmer: -idee.
So war man auch mehr als willens, der maschinenbaulichen Aussage des Trainers zu vertrauen, in der die Bedeutung von „Achsen“ hervorgehoben wurde. Allerdings wurde schon bei der Nach-PK-Recherche klar, dass nichts klar ist, schließlich gibt es unzählige Varianten von Achsen.
Und so sehr wir auf eine sogenannte Planetenachse hofften, bei der die auf den umlaufenden Achsen drehenden Räder ein zentrales Rad (ähnlich wie Planeten die Sonne) umkreisen, während der Steg, der die umlaufenden Achsen trägt, seinerseits um eine gestellfeste Achse dreht, so sehr wurden wir enttäuscht. Das Team stellte es sich bestenfalls als eine Starrachse ohne jegliches Differential heraus, mit der man niemals die Kurve kriegen kann, ohne Schaden zu nehmen.
Bestes Beispiel dafür war der Führungstreffer der Gäste, wo Kaderabek seinem Gegenspieler sehr starr gegenüberstand, so dass Bein Schwung auf- und auch Maß nehmen konnte.
Man hörte schon wieder das Nach-Spiel-Lamento von den Zweikämpfen, in die man nicht kam. Zumal nach dem Gegentor von unserem Team erst recht nichts kam. Glücklicherweise aber kam von unserem Gegner auch nichts, so dass es nach 45 Minuten nur 0:1 stand.
Gewundert.
Auf den Eckball in der Nachspielzeit für uns gaben wir nichts, denn wie sollen wir mit unseren uninspirierten hohen Bällen bei den körperlichen Nachteilen einen (Kopfball-)Treffer erzielen? Indem der gegner nicht konzentriert agiert, den Ball nicht richtig klärt und Kramaric nicht deckt. Da gelingt nach 22 Fehlversuchen selbst unserem Stürmerstar endlich sein erster Saisontreffer. Ausgleich. Ende Durchgang 1. Zu einem Moment, der als Paradebeispiel für die JournalistInnen-Floskel vom „psychologisch richtigen Zeitpunkt“ dienen muss, denn die Mannschaft war in Durchgang 2 nicht wiederzuerkennen.
Auf einmal spielte sie Fußball. Ja, es gelang immer noch recht wenig, aber immer dann, wenn was klappte, klappte es gut. Dabei spielten die Gäste wie bisher. Nur wir standen einfach höher. Insbesondere Grillitsch und schon hatten wir so etwas wie einen Anspielpunkt im zentralen Mittelfeld für unser Kleinkleinballgeschiebe um den Fünfmeterraum, mit dem wir den Gegner natürlich locken wollten. Das aber gelingt halt auch nur dann, wenn Baumann den Ball nicht wegdreschen muss, weil er von zwei Gegenspielern angegangen wird.
Gemeckert.
Trotzdem war es alles andere als ein überzeugender Vortrag – vor allem deshalb, weil die Akteure auf dem Platz die ganze Woche über nichts anderes machen und dafür mehr als gut bezahlt werden. Von jedwedem/-der Laienschauspieler/in erwartet man nach einer Woche ein gerüttelt‘ Maß an Textsicherheit – und dessen Bezahlung ist eine andere –, so dass man zumindest die Sicherheit in den Basics sowie die Kontrolle übers Spielgerät bei unseren Fußballdarbietern erwartet. Denn: Verliert man die, ist es nur eine Frage der Zeit, bis man die Nerven, das Team einen Mann, und die -schaft das Spiel verliert.
Bestes Beispiel ist Pavel Kaderabek. Ihm merkte man an, dass er noch lange nicht in alter Form ist. Von seinem Begleitservice beim Gegentor abgesehen, flankte er auch nur sehr bescheiden und auch sein Zweikampfverhalten war eher robust als intelligent. Dabei störte es ihn auch nicht, dass er bereits verwarnt war. Es war etwas über die Hälfte der zweiten Halbzeit rum, als für uns völlig klar war, dass der Trainer jetzt unbedingt reagieren und Pavel auswechseln müsse. Die Schuldfrage, warum wir das Spiel in Unterzahl beenden würden, war also für uns geklärt, bevor das Problem überhaupt eintrat. Pavel muss runter vom Feld.
Geirrt.
Unser Trainer ließ ihn drauf, sein Gegenspieler ihm ein Mal seinen Lauf, und er, Pavel, ihn, Baumgartner, glänzen. Grundlinie, Rückpass, langes Eck, die Führung.
Geändert.
Und Pavel spielte endlich wieder/weiter offensiv. Und endlich wurde er auch mal vom Ersatz (?) des rückenlädierten Rückpass-Rudys, dem ungekrönten Pirouettenkönig im Mittelfeld (TSGrillitsch) angespielt. Auch sahen er und Samassekou dann endlich, dass David links ebenso viel Raum hatte, so dass wir endlich mal konzentriert und strukturiert und mutig nach vorne spielen konnten.
Der eingewechselte Akpoguma eröffnete plötzlich die Slalomsaison, was die Gäste gerade noch rechtzeitig, bevor er die gefährliche Zone penetrierte, verhindern konnten. Ein halben Meter mehr, und es wäre, klar, ein Elfmeter geworden, den, klar, Kramaric geschossen hätte. So aber gab es „nur“ Freistoß, aber Kramaric stand auch da zur Auf- und Ausführung bereit. Doch es schoss Raum. Härt, präzise, an den Pfosten. Abpraller, vor Kaderabeks Füße, der da mutterseelenallein und abseitsfrei vor der Gäste Tor stand, ins Netz. 3:1.
Gejubelt.
Wir haben das Spiel gedreht. Wir haben gewonnen. So stand’s an der Anzeigetafel:
Gegrübelt.
Aber … Was ist Wahrheit? Was man sieht? Oder was man spürt.
Gesehen haben wir eine hochgradig verunsicherte Mannschaft in der 1. und eine mental geradezu komplett ausgewechselte Mannschaft in der 2. Halbzeit.
Gesehen haben wir eine bisher ungeschlagene Mannschaft, die den Ball sicher in den eigenen Reihen halten konnte, eine hohe Lauf- und Kampfbereitschaft an den Tag, sich aber ansonsten – insbesondere nach dem Führungstreffer nicht sonderlich mehr ins Zeug legte, so dass wir zu einem ganz anderen Schluss gekommen wären als deren Trainer. (s. o.)
Gespürt hat man wenig in der 1., viel Willen in der 2. Halbzeit. Auf einmal war da Lust zu spüren, da wurde es auch mal körperlich, da ging es auch mal zur Sache, an die Wäsche, darum, hinter die Abwehr, in die die gefährlichen Zonen, zum Abschluss zu kommen. Aber aller Umstellungen zu Beginn der zweiten Halbzeit zum Trotz, gefühlt zumindest gingen die Veränderungen für die zweiten 45 Minuten vor allem auf das Konto des recht glücklichen Ausgleichstreffers, dessen Zeitpunkt und der Unfähigkeit oder dem Unwillen der Gäste, sich nochmals so richtig anstrengen zu wollen.
Geschlussfolgert.
Der Sieg war nicht Ausdruck unserer Überlegenheit, sondern eher der Ausdruck der Überheblichkeit der Gäste. Uns kann es für heute recht sein, aber nicht für die Zukunft.
Da braucht es schon mehr Achse, Getriebe und Umsetzung im Sinne der Kraftübertragung. (Vielleicht lohnt ja schon mal ein Blick nach Stuttgart, wo man mit „Die Achse des Besseren“ zu besitzen glaubt.)
Aber jetzt freuen wir uns einfach mal über zwei mehr „Zonen“ für uns, als Ernst Gräfenberg (er-)fand, sprich: 3 TSG-Punkte.
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