1899 Hoffenheim vs. Slovan Liberec
Ad astra
Schöne, neue Welten tun sich auf …
Es gibt Spiele, die sind einmalig. Deutschland – Niederlande bei der WM 1990 war so eines. Oder Deutschland – Brasilien bei der WM 2014. Und gestern war auch so eines, das allerdings nicht so legendär werden wird wie die zuvor genannten Partien, da sie ihren Status rein sportlichen Gründen zu verdanken haben. Diesmal lag es zum Gutteil am Coronavirus, was für einen Ausfall eines Großteils von Stammspielern der Gastmannschaft sorgte.
Aber das war keine Premiere und das ging auch schon ganz anders aus – gerade auf europäischer Ebene. Am 21. Oktober musste Schachtjor Donezk, unser ehemaliger Gegner aus der UEFA Champions League, in Selbiger ohne 13 (!) Stammspieler in Madrid gegen Real ran, das seinerseits keine virus- bzw. verletzungsbedingten Ausfälle zu beklagen hatte – und siegte mit 3:2!
Das heißt: Das Team aus der Ukraine gewann gegen eine Mannschaft, die man auch schon mal „Die Galaktischen“ nannte. Aber auch wenn sie in jener Partie eher unterirdisch kickten, sind die Madrilenen eine Mannschaft, die wohl von allen Menschen, Medien, Fans, Experten – auch jenseits der eigenen Sphäre – mit den Attributen bedacht wird, mit denen unsere Mannschaft assoziiert wurde – und das von einem Mann weit außerhalb des TSG-Kosmos. Als „riesen Mannschaft“, „großer Traditionsverein“, „mit viel individueller Qualität“ beschrieb uns David Cancola.
Außerdem ist er ehrlich. Er ist 24 Jahre alt. Die Hälfte seines Lebens spielen wir erstklassig. Als er das erste Mal Europa League (Play-Offs gegen NK Osijek) spielte, spielten wir Champions League (Play-Offs gegen den FC Liverpool).
Das mag der oder die ein, eine oder andere Gleichaltrige hierzulande anders sehen, wo man sich Tradition eher theoretisch anzueignen scheint und insbesondere im Fußball einen Unterschied zur sonst in der Generation üblichen Praxis macht, mit Traditionen zu brechen (z. B. wer kennt da noch den „Sonntagsstaat“? Die Zahlen von jüngeren Mitgliedern in Trachten- und Schützenvereine sind ein weiterer Indikator hierfür; Essenseinnahme am Schreibtisch vor dem Rechner statt am Esstisch mit der Familie etc. pp.) oder sie gar ins Gegenteil zu verkehren (z. B. in Ansicht in Lehre und Beruf, Informationen seien eine Bringschuld des/der Vorgesetzten).
Aber so isses halt …
Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.
Und sprechen wir es aus: Von „riesen Mannschaft“ und „großer individueller Qualität“ war in unseren Reihen gestern wenig bis nichts zu sehen. Dennoch machten wir es viel besser als Real, denn obwohl auch unser Gegner sehr unter coronabedingten Ausfällen zu leiden hatte und bestenfalls mit einer B-Mannschaft antrat, meisterten wir diese Pflichtaufgabe sehr abgeklärt, was schon mal Anerkennung verdient und das umso mehr, als wir ja auch unsererseits virus- und verletzungsbedingt auf acht Spieler verzichten mussten, d.h. ebenfalls keine A-Mannschaft stellen konnten.
Trotz dieser Ausfälle war der Vortrag in der Partie wie bereits beim Spiel gegen KAA Gent insgesamt so, dass man sich erneut so fühlen konnte, wie sich Bayernfans wohl ständig fühlen müssen: Zu keiner Zeit wurde es gefährlich für uns, unsere Mannschaft hatte Ball, Spiel und Gegner jederzeit unter Kontrolle und die einzige Frage, die sich stellte, war die Höhe des Sieges.
Am Schluss war es jetzt etwas, was bei uns nicht wirklich Tradition hat: ein Schützenfest: 5:0! Damit ist die TSG nach Abschluss der Hinrunde aktuell der beste Tabellenführer – in allen UEFA-Vereinswettbewerben und nicht nur in Gruppe L. L wie #LETSGO …
(Auf Platz 2 folgt der amtierende Champions League-Sieger Bayern München mit ebenfalls 9 Punkten aus drei Spielen, allerdings mit einem Torverhältnis von „nur“ +9, während wir zehn Tore mehr schossen als kassierten.)
Dennoch: Von „riesen Mannschaft“ und „großer individueller Qualität“ war in unseren Reihen gestern wenig bis nichts zu sehen.
Ja, es war ein besseres Trainingsspiel, aber gerade da kann man auch mal Dinge probieren: schnellere Ballstafetten, mehr Spielzüge, mehr Versuche, in 1:1-Situation zu kommen, mehr (und besser) über die Flügel zu spielen und vieles andere mehr. Da offenbarten einige Spieler doch einige Schwächen bzw. zeigten, warum sie nicht (regelmäßig) in der Startelf stehen.
Nun soll hier niemand schlecht geredet werden, aber Dinge schönreden bringt ja auch nichts.
So blieb Klauss doch deutlich hinter den Erwartungen zurück. Das sagt allerdings weniger über ihn als über die Erwartungen, schließlich hatte ihn noch nie wer von Anfang spielen sehen. Gestern konnte man es und auch den Trainer verstehen, warum er den Mann bislang so selten brachte.
Schlimmer war es bei den (Fast-)Stammspielern wie Bebou und Skov. Letzterer ist ja für das nächste Spiel gesperrt. Allein daher hätte er viel aktiver agieren können, aber er entschied sich doch erschreckend oft für Flanken aus dem Halbfeld, die ja so gut wie nie was bringen (auch wenn eine davon das 1:0 durch Dabbur vorbereitete, was aber weniger an der Flanke als an der Standfestigkeit der Tschechen lag), statt ins Dribbling zu gehen oder die Linie runterzuziehen, um dann den Ball vors Tor oder in den Rückraum zu bringen.
Ersterer versuchte das erfreulicherweise öfter und das auch mit mehr Erfolg, allerdings mit nur wenig Ertrag.
Skov bereitete mit seinem Freistoß auch das 2:0 vor, aber auch der Treffer fiel mit freundlicher Unterstützung des Gegners – wie letztlich eigentlich jedes Tor von uns. Keines war das reine Resultat einer spielerischen Aktion unser Mannschaft.
Das 3:0 durch Grillitsch fiel glücklich, weil der Torwart der Tschechen aus unserer Sicht glücklich fiel. Vielleicht war der Ball auch leicht abgefälscht, und, ja, es war ein Aufsetzer, dennoch war er eines nicht: unhaltbar.
Am ehesten war das 4:0 „normal“, auch wenn Bebou Baumgartners Flanke verpasste. Sie war jedoch so gefährlich getreten, dass der Gästekeeper zu abwehren musste, was ihm gelang, aber halt nur nach vorn, wo der inzwischen eingewechselte Adamyan nur noch einschieben musste.
Vor dem letzten Treffer köpften wir den Ball eigentlich neben das Tor, nur stand das ein Verteidiger, so dass der Ball auf dessen Kopf und von da direkt vor Adamyan im Fünfer landete, der dann keine Probleme hatte, Tor Nr. 5 zu erzielen.
Belfodil erinnerte an Messi vom Vorabend: maximal lustlos. Und mit nur wenig Bereitschaft, wenn er denn mal am Ball war, diesen wieder abzugeben. Da war alles irgendwie nicht so schön zu sehen.
Selbstverständlich springt ein gutes Pferd nur so hoch wie es muss – und wenn es keines Galopps bedarf, um die Aufgabe im Sinne von gegentor- und verlustpunkt-, also fehlerfrei zu meistern, ist Trab mehr als verständlich, aber dennoch wäre es schöner gewesen, wenn gerade die Nichtstammspieler mehr auf Trab gewesen wären.
Bogarde machte seine Sache hingegen gut. Und auch die eingewechselten Grillitsch, Baumgartner, Adamyan machten ihre Sache mehr als ordentlich. Da war diese von Cancola angesprochene „individuelle Qualität“ auch deutlich zu sehen. Und es hat ja gereicht.
Und es reicht ja, wenn wir am Sonntag „eine riesen Mannschaft“ sehen, denn so schön 9 Punkte in der Europa League sind, 10 Punkte in der Bundesliga wären auch nicht zu verachten.
Damit wir weiter daran arbeiten können, dass noch mehr Menschen erkennen, dass wir das Potenzial haben, ein „großer Traditionsverein“ zu werden. Dazu trägt natürlich auch dieser Sieg bei, denn damit ist etwas Ein- im Sinne von Erstmaliges für uns möglich: Überwintern in der Europa League.
Da muss man jetzt nicht abheben. Wir müssen auch nicht der Welt all‘ Menschen Freund sein. Aber – wie es ja schon in der Überschrift* verkürzt steht – nach den Sternen greifen … warum nicht? Wo man zumindest in der Europa League nicht nur ein Licht am Ende des Tunnels sehen kann, sondern den … (s. Introvideo)
🙂
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* Diese lateinische Redewendung hatten wir übrigens schon mal eingesetzt, ist aber über sieben Jahre her. Da hatten wir sie in Gänze vorangestellt: „per aspera ad astra“
(Damals hatten wir sie aber nicht erklärt, also holen wir das jetzt nach (was sind schon sieben Jahre im Verhältnis zum Alter des Universums).)
Sprachlich übersetzt heißt es „durch das Raue zu den Sternen“ und bedeutet: „Über raue Pfade gelangt man zu den Sternen“ oder „Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen“.
Diese Redewendung hat ihren Ursprung bei Seneca. Sie stammt aus seiner Tragödie Hercules furens (Der wildgewordene Herkules). Dort heißt es: „Non est ad astra mollis e terris via“, deutsch „Es ist kein weicher (= bequemer) Weg von der Erde zu den Sternen“. (wikipedia)
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