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Lazarus

Effekte und Phänomene

Drei Alutreffer, zwei nicht gegebene Tore, ein nicht gegebener Elfmeter, mehrere ausgelassene Top-Chancen – und wir stehen auf einem Europa-League-Platz. Trotzdem.

Trotz allem …
Trotz der ersten Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb.
Trotz der Abgänge.
Rudy. Schwegler. Süle. Terrazzino. Toljan. Wagner.
Trotz der Abwesenheit von Geiger und Uth.
Trotzdem gewannen wir.
Das dritte Heimspiel in Folge ohne Gegentor.
Elf null aus den letzten drei Heimspielen.
Zwei Null diesmal.
Wieder drei Punkte.
Jetzt auf Platz 6.
1 Punkt hinter Platz 5.
5 hinter 4.
Und drei.
Und nächste Woche spielen wir gegen 5.
Und 3 gegen 4.
Und am Spieltag 34 (wie schon so oft) gegen den Jetzt-Vierten.

Jetzt gilt’s. Jetzt geht’s ja doch plötzlich um was. Kaum wer hat mehr an so eine Situation geglaubt. Hach, was hat man dem Team alles nachgesagt? Aber da hat sich mal wieder bewahrheitet, dass es sich lohnt, an sich zu glauben – nicht nur an den Fußballgott. Und was taugt hier besser als die Lazarus-Geschichte im Johannesevangelium?

Für die weniger Bibelfesten unter euch:

Ein Mann war krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf der Maria und ihrer Schwester Marta. Maria war jene, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hatte. (…) Daher sandten die Schwestern Jesus die Nachricht: Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank. (…) Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben. (…) Betanien war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. (…) Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. Jesus sagte zu Marta: Dein Bruder wird auferstehen. (…) Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. (…)

(verkürzt aus Joh, 1-45)

Schon in dieser Passage sieht man nicht nur am Wort „Stadien“ die Fußballaffinität der Heiligen Schrift, denn könnten die „Binden“ nicht die Stutzen sein, der „Stein“ die Tür zur Mixed Zone und das „Schweißtuch“ nichts anderes als ein Handtuch?

Zudem ist die Geschichte wohl die Quelle der volksmündlichen Redensart, die perfekt auf unsere jetzige Situation passt: „Totgesagte leben länger.“

Nun zählen wir nicht direkt zu den Lebewesen, die man mit dem Lazarus-Effekt in Verbindung bringt, aber wenn man sich die Namen einiger derer mal genauer anschaut, könnte man da nicht an die Namen unserer Spieler denken?

  • Quastenflosser Oliver Baumann
  • Langbein-Buschsänger Benjamin Hübner
  • Juan-Fernandez-Seebär Kevin Vogt
  • Bayerische Kurzohrmaus Serge Gnabry
  • Edwardfasan Florian Grillitsch
  • Baumhummer Andrej Kramaric
  • Neuseeländische Sturmschwalbe Nico Schulz
  • Antigua-Schlanknatter Kerem Demirbay
  • Madagaskar-Schlangenhabicht Pavel Kaderabek
  • Yunnan-Scharnierschildkröte Adam Szalai
  • Chapmans Zwergamazone Nadiem Amiri
  • Cebuschama Kevin Akpoguma
  • Hörnchenbeutler Havard Nordtveit
  • Und nicht zu vergessen:
    den Parmawallaby,
    den Glattsittich,
    den Vierfarb-Mistelfresser oder vielleicht als
    perfektes Sinnbild für unseren Trainer den Bergbilchbeutler.

Alle diese Tiere galten als ausgestorben, aber plötzlich waren sie doch wieder da. Nun ist es nicht möglich, dass sie faktisch ausgestorben waren. Sie waren bei den Beobachtern einfach nicht mehr auf dem Schirm oder wurden von ihnen zum Teil nur noch als „Fossil“ geführt.

War unser Team nicht demselben Schicksal ausgesetzt? Bestenfalls wurden wir als „graue Maus“ in irgendwelchen Niederungen (oder) im Niemandsland vermutet. Aber Lebenszeichen? Fehlanzeige.

Dazu passt, dass es neben dem Lazarus-Effekt in der Biologie auch das Lazarus-Phänomen gibt in der Thanatologie – der Lehre vom Tod.

Dieses Phänomen beschreibt das plötzliche Wiedereinsetzen der Vitalfunktionen bei bereits für tot gehaltenen Personen. Also, wenn das mal nicht auf unser Team zutrifft – zumindest wenn man die Menschen heranzieht, die sich für die Halbgötter in Weißalles halten – und selbst für sie scheint es unerklärlich, weshalb sie nach dem Spiel auch Julian Nagelsmann gefragt haben, was er denn geändert habe, damit es plötzlich wieder klappt.

„Nichts.“ war seine knappe Antwort – und wahrscheinlich ist auch das genau das Geheimnis, wobei man sich fragen kann, ob etwas Offensichtliches ein Geheimnis sein kann. Ja, klar kann es das – zumindest für Blinde …

Aber die, die sehen können, sahen auch vergangenen Samstag eine Mannschaft, die zumindest in der ersten Halbzeit ganz hervorragenden Offensivfußball spielte und in der zweiten wohl schon verschiedene Defensivtaktiken gegen kommende Gegner ausprobierte, wobei diese immer dann, wenn der Druck der Gäste zu groß wurde, in der Lage war umzuschalten und sich zu befreien. Allerdings fehlte gerade in der zweiten Hälfte der unbedingte Wille zum Torerfolg, dabei war es just jener Wille, der sowohl bei Gnabrys Einzelleistung durch den Gästefünfer als auch bei Szalais Treffer (nach Schulz’ Rückpass von der Torauslinie, auf der er einen grandiosen Balancespurt hinlegte) aus-, genauer: einschlaggebend war

Doch letztlich war das 2:0 nie gefährdet, von daher waren die Nachlässigkeiten diesmal gegen diesen Gegner verzeihlich. Zumal es das letzte Mal gewesen sein dürfte, dass wir auf einen Gegner auf dem Niveau treffen. Die nächsten Partien in Leipzig, gegen Hannover sowie beim VfB werden unser Team vor größere Aufgabe stellen, die wir besser werden meistern müssen, damit wir erneut am letzten Spieltag gegen den BVB ein Finale um die Teilnahme an der UEFA-Champions League haben werden.

Was wäre das für ein Abschluss einer so lange als verkorkst geltenden Spielzeit?

Ein geiler … und auch ein verdienter, weil wir trotz allem nie aufgehört haben, an uns zu glauben.

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