1899 Hoffenheim vs. Werder Bremen
Es ist Liebe.
Beziehungsprobleme und -aufbau.
Wie soll man sich fühlen nach so einem Spiel? Einem Spiel mit acht (!) Toren. Einem Spiel, bei dem man zweimal mit zwei Toren vorne lag und das man doch nicht gewonnen hat? In einem Spiel, bei dem man Ball und Gegner laufen ließ, Ball und Gegner beherrschte, in dem man über die Hälfte der Zeit faszinierenden Fußball zeigte, doch mit dem Ende einer jeden Halbzeit den Ausgleich kassierte?
Freut man sich über das strukturell Gezeigte oder dass man letztlich doch einen Punkt gewann – oder verliert man so langsam den Glauben ans Gewinnen, an die Mannschaft? Die Pfiffe nach dem Schlusspfiff gerade von der Südkurve suggerieren Letzteres, aber das ist falsch.
Es ist Liebe.
Keine Liebe, wie sie sein sollte, die tief verwurzelt ist, die bedingungslos ist, die so ist, wie Nena sie beschreibt:
Liebe soll nicht
Liebe kämpft nicht
Liebe wird nicht
Liebe ist
Liebe sucht nicht
Liebe fragt nicht
Liebe ist
Es ist eine moderne Liebe, wo der Partner Projektionsfläche ist. Eine Liebe, bei der man große, viele, alle Erwartungen in den anderen setzt. In der der andere einem das geben soll (!), was man selbst nicht hat, in dem man leidenschaftlich kämpft (!), sei es um Anerkennung oder Ballgewinn, und in der alles so wird (!), wie man sich das vorstellt, und bei der es für die eigene Beurteilung völlig egal ist, ob das andere sich auch anders vorstellte.
Die eigene Verärgerung ist immer bedeutungsvoller als die des anderen. Deshalb schaut man sehr subjektiv auf das Erreichte (und dabei vor allem auf die Defizite) und nicht zumindest halbwegs objektiv auf das Gegangene (und damit das Positive).
Außenstehende dienen als Beweis für die Rechtfertigung der eigenen Gefühlswelt und damit der Vorwürfe an den Partner. Und diese Außenstehenden werden in solchen Momenten nicht müde, diese Verärgerung zu schüren. Privat heißt so was dann „Ich hab’s dir doch gleich gesagt …“ / „Ich hab’s immer gewusst …“, hier sind es dann Foren und Medien, in denen auch alles dafür getan wird, den Blick aufs Negative zu richten.
Und wer sich verletzt fühlt (… und wer tut das heutzutage nicht gerne und dauernd?), ist sehr empfänglich für diese Art der Agitation, bedeutet sie doch Affirmation, Bestätigung des Gefühls. Die Frage, ob das eigene Gefühl stimmt, stellt man sich nicht. Dazu müsste man ja reflektieren. Das will man aber nicht. Man will, dass es läuft, und zwar so, wie man will.
Dabei tat das die Mannschaft. Grandios. Und gewinnend. Denn man merkte, dass sie gewillt war, die Fehler, die sie zweifelsfrei in der jüngsten Vergangenheit gemacht hat, nicht nur nicht zu wiederholen, sondern wieder gutzumachen. Man merkte, dass das gut und richtig war, denn die Fans waren anfänglich sehr abwartend und wenig tolerant, eine Einstellung wie die letzten beiden Spielen durchgehen zu lassen.
Der erste Rückpass wurde sofort mit Missmut, der zweite, obwohl sinnvoll, mit ersten Pfiffen quittiert. Aber dabei blieb es dann, denn danach spielte nur eine Mannschaft: TSG 1899 Hoffenheim.
Was man da sah, war die Mannschaft, in die man sich „verguckt“ hat, wie man hier so sagt, weil man sich ohnehin schwer tut damit, positive Gefühle zum Ausdruck zu bringen.
(Die Nähe zu Schwaben und deren pädagogischem Paradigma ist hier deutlich bemerkbar: Dort (nicht nur dort, aber dort besonders) resultiert die quantitativ und qualitativ hinreichende Anerkennung positiven Verhaltens qualitativ aus der quantitativen Abstinenz negativer Bemerkungen – oder wie sie sagen: „Nedd g’schennt, is g’loobt g’nug“)
Man glaubte seinen Augen kaum. Das war herrlich. Das war intensiv. Das war lustvoll. Das war wie das Wetter zu dem Zeitpunkt – nicht wiederzuerkennen. War’s doch zuvor eher grau und kalt, schien die Sonne am blauen Himmel. Einfach schön.
Chance um Chance haben sich unsere Lieblinge erspielt – und vergeben, aber das tat der Stimmung keinen Abbruch. Nein, man sah, sie wollten es besser machen als zuvor und sie machten es viel besser.
Gewiss spielte dabei die Nichtnominierung Modestes eine große Rolle. Nicht, weil der Spieler in den letzten Wochen bei weitem nicht an seine Leistungen und Torgefährlichkeit der ersten Wochen anschließen konnte, sondern weil man dadurch sich selbst nicht in Versuchung brachte, lange Bälle auf ihn zu schlagen.
So musste ein Spiel von hinten aufgebaut werden und das machte die Mannschaft in der ersten Halbzeit ganz hervorragend. Rudy ließ sich dafür immer zentral nach hinten fallen, die Innenverteidiger gingen nach außen, die Außenverteidiger nach vorn. Damit hatte der ballführende Spieler immer eine Vielzahl von Anspielstationen und der Gegner Probleme, Zuspiele und Kombinationen in die Spitze zu verhindern.
Nur das mit der Chancenverwertung war so eine Sache, aber, dessen war man sicher, auch nur eine Frage der Zeit, bis wir das erste Tor erzielen würden.
Dass ein Elfmeter dafür würde herhalten müssen, hatte zu dem Zeitpunkt keiner gedacht, aber Volland setzte halt toll nach, nachdem er zuvor am neuen Gästekeeper scheiterte, schirmte den Ball prima ab und wurde halt gelegt. Das war doch sehr deutlich, auch wenn man im „Aktuellen Sportstudio“ hier wie auch wenige Minuten später, als Hoffenheim nach einem klaren Beinstellen im Strafraum an Polanski den nächsten Strafstoß zugesprochen bekam, von einem „Kann-Elfmeter“ sprach.
(Naja, der Sender scheint ohnehin (zumindest im Bereich „KuK“ („Koalitionsverhandlungen“ und „Königsblau“)) eine Tendenz zu Thesen zu haben, die kaum wer versteht, und dabei ein Gebaren an den Tag legt, das wenig mit den Grundsätzen eines Hanns-Joachim Friedrichs zu tun hat, der ja, bevor er bei der ARD die „Tagesthemen“ moderierte, den Vorreiter des „heute-journals“, beim ZDF Moderator dieser Samstagabendsportsendung und auch des Senders Sportchef war.)
Beide Male verwandelte Salihovic sicher. 2:0. Tolles Wetter. Tolles Spiel. Irgendwie jetzt noch ein Tor für unsere Mannschaft aus dem Spiel heraus … und alles wäre perfekt. Zumindest eine 3:0-Führung hatten wir in dieser Saison noch nicht verspielt.
Stattdessen gab es den nächsten Elfmeter – und den leider für die Gäste und leider auch zu Recht. Schipplock, der diesmal von Anfang an spielte, fuhr den Arm doch etwas arg weit aus, als der in der Mauer stehend hochsprang, um einen Freistoß der Gäste abzuwehren – und da der Freistoß nah am Sechzehner war, war die Mauer drin, der Elfer leider auch.
Ja, blöd, kann passieren, aber keine Sorge, denn die Mannschaft zeigte, wer hier wen im Griff hat. Ist es halt nur noch ein Tor Vorsprung, aber ja auch nur noch eine Minute Nachspielzeit in der ersten Hälfte, das wird schon … denkt man so, als die Gäste den Ausgleich schießen.
Buff, einfach so, aus dem immer noch heiteren Himmel, wenngleich die Strahlkraft der Sonne inzwischen merklich nachließ. Plötzlich wurde einem bewusst, dass es auch kalt geworden ist.
Und wie es halt so ist in modernen Beziehungen: Man sucht einen Schuldigen. Tatsächlich sah Casteels wirklich doof aus bei dem Tor, ging doch der Ball von der Grundlinie zwischen ihm und Innenpfosten durch, kullerte die Linie entlang, wo ihn dann einer der Gäste nur noch drüber schieben musste.
Dabei hätte er durchaus sagen können, was ja gerne in Beziehungen gesagt wird, wenn man in einer misslichen Situation entdeckt wird: „Es ist nicht das, wonach es aussieht. Es ist nicht so, wie du denkst. Ich kann es erklären.“
Aber wenn in einer Beziehung die Situation mal verfahren ist, dann geht es nicht mehr um Erklärungen oder um Wahrheit. Es geht um die eigene Wahrnehmung. Der arme Coen kann da lang erklären, dass er den Ball gehabt hätte, hätte Abraham nicht so unglücklich abgefälscht.
Aber das interessiert nicht. Das Tor fiel, Coen hatte den Ball vorbeigehen lassen, er ist schuld. Und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Tor gar nicht hätte gelten dürfen, weil es aus einer Abseitsposition heraus entstand – oder wie das „Aktuelle Sportstudio“ meint: „leichte Abseitsstellung“
(Was ist das? „Passives“ bzw. „Aktives Abseits“ ist bekannt, „leicht“ jetzt nicht so … Und a) war die Abseitsstellung deutlich und exakt vor dem hierfür zuständigen Assi. Schon schade, dass er es aus einem Meter Entfernung nicht erkannte. Aber das ist ja oft so im Leben: Es fehlt die nötige Distanz.)
Also alles zurück auf Anfang. Der ganze Aufwand, das ganze, tolle Spiel in der ersten Halbzeit, für die Katz. Das war ärgerlich, auch wenn dieser Verärgerung sich zur Halbzeit nicht Bahn brach. Mitleid hatte man aber auch nicht. (s.o. „schwäbisches Pädagogik-Paradigma“)
Zu Beginn der zweiten Halbzeit schien es so, als würden die Gäste den „psychologisch günstigen Zeitpunkt“ ihrer Treffer nutzen und agierten in den ersten Minuten nach Wiederanpfiff agiler als in den ersten 45 … äh … 46 Minuten.
Andererseits, und da lässt sich trefflich über die Korrektheit der Aussage dieser Phrase reflektieren, mal ganz abgesehen davon, dass doch jedes Tor zu den eigenen Gunsten „psychologisch günstig“ ist – bar seines Zeitpunkts, hatte unser Trainer die Chance, die Mannschaft auf die neue Situation einzustellen, sie wieder stark zu machen, auch wenn sie natürlich über die Monitore sahen, dass der Ausgleichstreffer an sich irregulär war.
Keine Zeit für Verschwörungen, höchste Zeit, sich zu verschwören – und es gelang. Diesmal war die Chancenverwertung perfekt: Der erste Angriff unserer Mannschaft führte sofort zum Erfolg. Perfekt getimte Flanke von Salihovic von links auf den kurzen Pfosten, wo sich Volland per Kopf gegen zwei Gegenspieler durchsetzte und einnetzte.
Der Gegner lief weiter an, aber erneut uns ins Messer, sozusagen. Herdling fand zwar keinen Anspielpartner, aber dafür dann den Mut, es alleine zu machen. Sein Fernschuss war einfach toll, der alte Vorsprung sehr schnell wieder hergestellt und alle wieder miteinander versöhnt.
4:2 – stand es, aber wir uns dann selbst im Weg. Erst trifft Salihovics Kopfballabwehr doof den eigenen Mann im Rücken, von da zum Gegner, der dann in der unsortierten Abwehr keine Probleme hatte, den erneuten Anschlusstreffer zu erzielen, wobei Casteels wieder nicht so gut aussah, was immer der Fall ist, wenn einem der Ball durch die Beine gespielt wurde.
Anfänglich mutmaßte man gar, es sei ein Eigentor von ihm gewesen – wie das eben so ist in einer Beziehung, die nicht so wirklich gefestigt ist: Irgendwie traut man dem anderen dann alles zu – und da helfen Fakten, wie in dem Falle die Stadionansage, wenig. Es bleibt immer dieses „Trotzdem …“
Leider wurden dann der Mannschaft die Beine schwer – und auch die Köpfe. Das, was rund 70, 75 Minuten ganz toll geklappt hat, funktionierte nicht mehr. Die Fehlpässe erreichten ein ungutes Niveau. Bälle wurden vertändelt oder lasch zugespielt, aber nicht gehalten.
Der einzige, der das noch tat, war Casteels. Das aber wurde eher abgetan mit „ist ja auch sein Job“, selbst als er in der letzten Minute eine Riesenkopfballlchance der Gäste mit einem sagenhaften Reflex zur Ecke abwehrte, gab es keine frenetische Anerkennung.
Vielleicht fehlte den Fans da auch schon der Mut, ans Gute zu glauben. Vielleicht wurden alte Erinnerungen wach, als wir so oft in den letzten Minuten noch ein Spiel aus der Hand gaben, zumal das ja gerade (Halbzeit miteingerechnet) eine Stunde zuvor passierte. Und aus mehrerlei Hinsicht ärgerlicherweise behielten diese „Unkenrufer“ recht: Der aus der Abwehr Casteels’ resultierende Eckball führte dann noch zum Ausgleich.
Die Mannschaft war fertig. Das sah man. Es waren ja noch zwei Minuten nachzuspielen, vielleicht doch noch ein Angriff, doch noch ein Tor, die Belohnung für all die Mühe und Leidenschaft, die sie in das Spiel investiert hat, aber da ging nichts mehr. Weder motorisch noch mental. Aber Mitleid? Gab es nicht. Statt dessen Pfiffe nach dem Schlusspfiff – und man fragt sich: Weshalb?
Weil sie nicht gewonnen hat? Kann man ihr das vorwerfen? Sie wollte es doch. Sie tat doch alles dafür, dass genau das eintritt. Warum sahen das die Fans nicht? Warum pfiffen sie?
Weil es Liebe ist.
Keine Liebe, wie sie sein sollte, die tief verwurzelt ist, die bedingungslos ist; eine moderne Liebe, wo man viel erwartet und Zuneigung die Einlösung einer Bringschuld ist. Das ist schade, nicht ide-, so doch normal – wie auch die Reaktion der anderen, die es ja schon immer gewusst haben.
Da wird der wohl anstehende Wechsel im Tor beim kommenden Pokal-Spiel nicht als Rotation gesehen, wie sie auch schon im Pokalspiel zuvor vollzogen wurde, sondern als „Rasur“ des Torwarts gewertet (zumindest wird so getan als ob), wobei es nicht darum geht, Grahl dauerhaft ins Team, sondern Wiese ins Spiel zu bringen. (Ja, so ein/e Ex ist immer eine Gefahr für eine Beziehung.)
Solche Störfeuer sind wie oben dargelegt nichts Neues. Und einer intakten Beziehung kann so etwas auch nichts ausmachen – zumal nicht im Fußball, wo die Beziehungsebene ohnehin eine ganz besondere ist, Nick Hornby es perfekt beschrieb:
The natural state of the football fan is bitter disappointment.
Never regret.
If it’s good, it’s wonderful.
If it’s bad, it’s experience.
Also alles gut. Und diese Zweifel, dieses Hadern, auch das … völlig normal – in der Liebe. Oder um es in den Worten Erich Frieds zu sagen:
Es ist Unsinn,
sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist,
sagt die Liebe.
Es ist Unglück,
sagt die Berechnung.
Es ist nichts als Schmerz,
sagt die Angst.
Es ist aussichtslos,
sagt die Einsicht.
Es ist, was es ist,
sagt die Liebe.
Es ist lächerlich,
sagt der Stolz.
Es ist leichtsinnig,
sagt die Vorsicht.
Es ist unmöglich,
sagt die Erfahrung.
Es ist, was es ist,
sagt die Liebe.
In diesem Sinne wünschen wir einen schönen 1. Advent voller Liebe.
(Bildquelle: Uwe Grün, Kraichgaufoto)
Submit a Comment