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Spiel und Witz

Oder: Wie man die Angst besiegt …

Nagelsmann und die Bayern. Vor Wochen gab es kein anderes Thema. Was wurde da alles geschrieben in der letzten Länderspielpause und was wurde da nicht alles als Indiz herangezogen? Allein schon, was der Trainer trug, wurde in schlimmster „Leben des Brian“-Manier als Zeichen gewertet. Das hatte nicht „was“ von Kaffeesatzleserei“, das war es. Vielleicht sogar noch schlimmer. Teilweise mutete es wie ein „Einführungskurs für Verschwörungstheoretiker“ an.

Dann ward es still. Zum einen, weil der Rekordmeister seit dem Trainerwechsel jedes Spiel gewann, zum anderen, wir außer dem Hinspiel gegen Basaksehir, keines mehr, so dass am heutigen 5.11. vor dem Spiel alles drin war – von Platz 5 bis Platz 11. „Zufall?“, fragten wir vor dem Spiel – und bejahten das auch gleich. Es wurde dank eines in dieser Saison selten bis noch gar nicht gesehenen souveränen Spielvortrags Platz 5. Heute trug der Trainer einen blauen Mantel – und wir dürften die einzigen Schreiberlinge sein, die das heute erwähnen. „Tut ja auch nichts zur Sache“, sagst du? Da stimmen wir dir zu, nur: Wenn heute die Farbe seiner Oberbekleidung keine Rolle spielte, warum ehedem? Ja, so einfach geht man nicht nur gegen Quatsch vor; mit Kausalität, Witz und Verve , sondern auch mit Druck um.

Mit Verve spielte unsere Mannschaft. Vom Anpfiff an versuchten wir, Ball und Gegner zu dominieren, was uns überraschend schnell gelang. Und so entwickelten wir genau jenen Spielwitz, den gewiss nicht nur wir in den letzten Wochen und vor allem vergangenen Donnerstag vermissten, ohne ihn zu übertreiben, ohne den Gegner lächerlich machen zu wollen, sondern völlig fokussiert auf die nächste Pointe, die sich Pass um Pass zum nächsten Mitspieler aufbaute und in einem überraschenden Zuspiel endete.

In der Gelotologie spricht man hier von einer Volte, einer plötzlichen Drehung und Wendung, die das Erwartete in etwas Unerwartetes dreht, was dann lustvolle Momente auslöst. Je größer hierbei die Diskrepanz zwischen dem Erwarteten und dem Geschehenen und je ausgereifter die Fähigkeit des anderen, dieses Spannungsfeld in kürzester Zeit zu überbrücken, desto größer ist das Momentum der Freude.

„Um ernst zu sein, genügt Dummheit, während zur Heiterkeit ein großer Verstand unerlässlich ist.“

Kein deutscher Komiker kommt umhin, wenn er über seine Arbeit gefragt wird, dieses Bonmot wiederzugeben. Angeblich stammt es von Shakespeare, überraschenderweise nicht nur das Mutterland des Fußballs, sondern für viele auch das des (Mutter-)Witzes. Beides stimmt übrigens nicht.

Fußball spielte man schon im zweiten Jahrtausend v. Chr. in China – und es hieß auch so: „mit dem Fuß zu stoßender („cu“) Ball“ („ju“), also Cuju (sprich: „Ts’u-chü“). Der „ju“ war zunächst aus Lederstücken zusammengenäht und mit Federn und Tierhaaren ausgestopft. In der Tang-Dynastie (618-907) gab es bereits die ersten luftgefüllten Bälle und Regeln mit Toren, Torhüter und Spielführer.

Und weitaus älter als die hierzulande als „englischer Humor“ bekannte Form der nennen wir es mal: „jokulatorische Dialektik“ ist der jüdische Witz. Die Deutschen als solche tun sich damit schwer. Witz gilt hierzulande im Gegensatz zu Pünktlichkeit, Redlichkeit, Ernsthaftigkeit, Fleiß etc. nicht als Tugend – übrigens ebenso wenig, wie es das noch im viktorianischen England tat. Und es ist wohl der Tatsache unserer Sozialisation geschuldet, dass wir darauf verweisen müssen, dass jemand, der Witz hat, durchaus auch die oben beschriebenen Tugenden besitzen kann, sogar wahrscheinlich mehr besitzt als all jene, die ihre Pünktlichkeit, Redlichkeit, Ernsthaftigkeit, Fleiß wie eine Monstranz vor sich hertragen. (Zahlreiche Studien belegen beispielsweise, dass Menschen, die viel fluchen, ehrlicher sind. (Check))

These – Antithese – Synthese, so muss das der Norm nach sein und alles andere, dass das nicht ist, ist für Menschen ohne Humor, oder formulieren wir es mit Verweis auf das obige Zitat um: dumme Menschen falsch.

Nun ist nicht jeder dumme Mensch humorvoll und nicht jeder intelligente Mensch Witzallergiker. Aber ein gewitzter Kopf hat so viel Verstand, dass er wenigstens etwas davon als Witz abgeben kann. Er kann sich den Witz leisten, er braucht sein bisschen Verstand nicht nur für die Realität.

Der hier entnommene Satz birgt noch etwas Schönes, was dem Witze beiwohnt: Luxus. Man kann es sich leisten – oder glaubt zumindest, ihn sich leisten zu können, was einen noch größeren Luxus darstellt: Freiheit. Denn der Einzelne kann selbst darüber entscheiden, ob er ihn sich leisten will. Ob man das dann sich leisten kann, ist, denn bekanntlich kommt das Wollen vor dem Können, erst die zweite Frage, die jeder, gerade in unseren politisch achso-korrekten Zeiten, ganz allein für sich entscheiden muss. Hat man Angst vor einem sogenannten Shitstorm oder schlechter Presse oder nicht? Ist das etwas, was als Witz verstanden wird oder nicht, zumal ja gerade (Soziale) Medien Witze auch gerne missverstehen – und das gewiss nicht unabsichtlich, sondern schlicht aus dem Kalkül heraus, dass Empörung zumindest zur Zeit die schnellste und einfachste Art ist, sich Gehör zu verschaffen, Reichweite und damit Umsätze zu erzielen. Es würde jetzt zu weit führen, an dieser Stelle die vielen Beispiele zur Untermauerung dieser Aussage aufzuführen, aber man denke nur an Herrn Brüderle und den #Aufschrei wegen seiner Bemerkung oder die Reaktion auf Frau Nahles’ Wortwahl, dass es ab jetzt „was auf die Fresse“ gäbe. Darüber kann man sich echauffieren, man kann es aber auch sein lassen – vor allem, wenn man es kontextuell betrachtet – und es kein strukturelles Problem ist. Aber gerade aus Sicht eines (Online-)Journalisten oder Bloggers, Twitterers oder sonst wem, dem es auf Gehör ankommt, sind solche Sentenzen natürlich Steilvorlagen, die man sich aus rein subjektiven Motiven (vgl. Egomanie) nicht entgehen lässt.

Solche egomanischen Anfälle gab es auch schon bei der TSG in dieser Saison. Aber auch Kramarics Eigensinn, der uns hochwahrscheinlich im Spiel gegen Wolfsburg zwei Punkte kostete, war ein einmaliger Vorgang und keines im Wesen der Mannschaft steckendes Problem, was umso bemerkenswerter ist, da wir eben mit Kramaric, aber auch Uth und Wagner, zum Teil auch Amiri und Demirbay und nicht zuletzt Vogt Personen in unserem Team haben, die schon auch ganz spezielle Persönlichkeiten sind, die aber wissen, dass sie das nur sein können, wenn sie sich bestenfalls als primi inter pares, aber zuvörderst als Teil eines Teams verstehen. Auf der anderen Seite muss man auf Chef(trainer)seite verstehen, dass sie es hier mit Menschen zu tun haben, die nicht nur auf dem Platz gewisse Freiräume brauchen, um all ihr Können auch abrufen und in den Dienst der Mannschaft stellen zu wollen.

Das gelang heute nahezu perfekt, denn heute glänzte das Team und dabei insbesondere die, die sonst nicht so im Rampenlicht stehen: Akpoguma, Posch, Schulz, Geiger und ganz besonders Grillitsch.

Natürlich war es hilfreich, dass Baumann wieder top in Form war, Vogt wider Erwarten doch spielen konnte und auch Demirbay sowie Amiri nicht nur gewohnt ballsicher, sondern viel ballsicherer und auch lauffreudiger waren als in ihren letzten Partien, aber all das hätte nie und nimmer gereicht, hätten die Jüngeren heute ähnlich viel Fracksausen bekommen wie am Donnerstag – und die Furcht bestand, denn während wir (wieder einmal) im fernen Istanbul einen Vorsprung nicht über die Zeit retten konnten, konnten die Gastgeber dieses Spiels ihre Begegnung am Donnerstag zuhause nicht nur spielen, sondern auch noch beeindruckend drehen. Zudem dann noch die lange Verletztenliste, da war der Glaube an den Sieg unserer Mannschaft in einer Region wie der unseren nicht sehr ausgeprägt, zumal man hier ja auch eher witzlos ist, wenn es um das eigene (Über-)Leben geht, denn nebst der letzten Spielausgängen wurde im Vorfeld ja auch daran erinnert, dass wir in den letzten Jahren im November so gut wie nie gewonnen und mit schöner Regelmäßigkeit gegen den jeweils Tabellenletzten verloren haben. Da kann man nur zum Glück sagen, dass Nagelsmann unser Trainer ist – und nich, ja: nicht von hier kommt.

Nagelsmann und die Kölner. Da gibt es schon mehr Parallelen. Womit wir keine Trainerdiskussion beginnen, sondern auf Gemeinsamkeiten von ihm und dem Wesen der Gastgeber zu sprechen kommen wollen, denn beide gelten wohl als Frohnaturen, was wohl wiederum an ihrem ganz eigenen (Mutter-)Witz liegt.

Sein fast schon legendäres „Scheiß da nix, da feit da nix!“ vor dem ersten Sieg gegen die Bayern kam hier zum Zeitpunkt der Äußerung auch nur bedingt gut an. Hier herrscht an sich halt doch eher ein Gefühl der Angst vor. Was, wenn es nicht eintritt? Was, wenn ich verliere? Dann dürften alle wohl massig Häme über mich ausschütten. Und aus dieser Furcht erwächst dann Lethargie bzw. Passivität oder eben eine in der Region auch nicht untypische Bescheidenheit, hinter der sich aber die Fratze der Aggressivität verbergen kann. Wenn einem dann nämlich das gelingt, was man zwar nicht gesagt, aber inständig gehofft hat, drückt sich dies eben nicht unbedingt bescheiden aus, sondern nicht selten in einer Wortwahl, in der all der Groll zum Ausdruck kommt, mit dem man sich zuvor zur Bescheidenheit gezwungen hat. All diesen „Wenn-dann“-Psychomüll („Hirnfick“) kennt der Kölner an sich nicht. Davor bewahrt ihn sein Humor, der es bei ihm sogar zum Titel „Grundgesetz“ gebracht hat. Diese elf Grundeinstellungen

§ 1: Et es wie et es.
§ 2: Et kütt, wie et kütt.
§ 3: Et hätt noch immer jot jejange.
§ 4: Wat fott es, es fott
§ 5: Et bliev nix wie et wor
§ 6: Kenne mer nit, bruche mer net, fott domet
§ 7: Wat wellste maache?
§ 8: Mach et jot ävver nit ze off
§ 9: Wat soll dä Quatsch?
§10: Drinkste eine met?
§11: Do laachste Dich kapott.

scheinen sehr dem Naturell von Nagelsmann zu entsprechen. Und dankenswerterweise schaffte er irgendwann irgendwie und irgendwo zwischen Bosporus und Rhein die Mannschaft damit zu infizieren, denn was sie da an Spielwitz bot – und das diesmal über 90 Minuten (hätte doch in den letzten Wochen jeder Schiedsrichter immer noch pünktlich abgepfiffen wie heute Herr Aytekin) – war schlicht sensationell.

Und auch wenn es ihr in der ersten Halbzeit wieder einmal nicht gelang, beste Torchancen zum Führungsausbau zu nutzen, so ließ sie hinten nahezu nichts zu. Da war es natürlich sehr hilfreich, dass Vogt wieder dabei war. An ihm konnten sich seine Nebenleute Posch und Akpoguma ebenso verlassen wie umgekehrt, so dass man das Fehlen Hübners diesmal gar nicht merkte.

Im Mittelfeld war es diesmal der bisher im Trikot der TSG doch eher unglücklich agierende Grillitsch, der entweder für frühzeitigen Ballgewinn sorgte oder sehr kluge Ballverteilungen und Tempiwechsel. Es schien fast so, dass er entschied, wann Demirbay und Amiri mit ihren Steilpässen in die Spitze glänzten durften, was sie dann auch taten und wo Uth und Wagner (und später auch Kramaric) größtenteils diese Bälle auch zu verwerten wussten.

Dass sich Wagner den Ball schnappte, als Uth einen Elfmeter zu Recht zugesprochen bekam, war klar, dass, sollte er den machen, er es nicht bei einem belassen würde. Zu lange war er schon torlos und dabei war er auch in dieser Partie fast schon zu oft so nah dran. Er machte ihn. Und auch den finalen dritten Treffer nach wunderbarer Bogenflanke des diesmal ganz und gar nicht eigensinnigen Kramaric, völlig freistehend, da Uth zwei Gegenspieler auf sich zog. Spielwitz bis ins Netz.

Nagelsmann und die Hoffenheimer. Womit auch immer die Verschwörungstheoretiker in den nächsten Wochen und Monaten aufwarten werden, heute waren sie eine eingeschworene Gemeinschaft und vielleicht mehr denn je – und geilerweise in einem Moment, in dem es die wenigsten auch zuhause erwartet haben – statt Lachblatt …

Welch’ Wonne!
Welch’ Volte!

… ein Dream Team.

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