1899 Hoffenheim vs. SC Freiburg
Erfolgreiche Irrtümer
Über Geschmacks- und andere Sachen
Es gibt ja den ein oder anderen, der meint, unsere Nachbesprechungen bräuchten sehr, ja: zu lange, bis sie endlich mal zum Spiel kämen. Gut, es gibt auch andere Meinungen, aber sei’s drum: Kommen wir also gleich dazu und üben auch sofort Selbstkritik:
Wir dachten, das Spiel gegen Freiburg würde eine souveräne Partie, an dessen Ende ein nie gefährdeter Sieg unserer TSG stehen würde.
Das war ein gehöriger Irrtum. Doch woran lag das? Irrtümer können ja viele Ursachen haben. Nehmen wir einmal ein paar populäre und schauen uns deren ursache an.
In der Bibel wird allerlei Obst erwähnt (Datteln, Feigen, Melonen etc.), aber kein einziges Mal das Wort „Apfel“. Dass der Sündefall dennoch damit dargestellt wird, liegt einfach an dem Wort „malum“, was „Apfel“ heißen kann, aber auch „schlecht, böse“.)
Wer an Albert Einstein denkt, denkt an drei Dinge: dass er schlecht in Mathe war (denn er bekam da eine 5), dass er den Nobelpreis für die nach ihm benannte Relativitätstheorie erhielt und die herausgestreckte Zunge. Die Zunge hat er in der Tat rausgestreckt, aber das konnte ja kein Irrtum sein, wenn schon eine Fälschung, und auch die 5 in Mathe stimmt, nur erhielt er die in der Schweiz, wo 6 die beste Note ist. Ursächlich für den Irrtum sind hier also wohl Unkenntnis und Wunschdenken. Es kann aber auch nur eine Wahrscheinlichkeitsvermutung sein, denn wer weiß denn schon, was Einstein noch alles untersuchte? Die Brownsche Molekularbewegung, aber auch den Photoelektrischen Effekt – und für Letzteres erhielt der 1922 die Auszeichnung.
Manchmal kann ein Irrtum sich aber vor allem deshalb durchsetzen, weil man etwas, was nicht wahr ist, einfach wahrhaben will. Dazu zählt der Satz:
„Die Zehn Gebote haben 279 Wörter, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung hat 300 Wörter. Die EU-Verordnung zur Einfuhr von Karamellbonbons hat 25911 Wörter.“
Der Satz hat viele Väter. Und auch viele Fehler. So haben die Zehn Gebote keine hundert Wörter, die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung dagegen über 1.300. Der wahre Coup aber ist die „EU-Verordnung zur Einfuhr von Karamellbonbons“ und ihre kolportierten fast 30.000 Wörter. Wobei da nicht einmal die Zahl falsch ist, weil sie nicht falsch sein kann, was daran liegt, dass es die Verordnung gar nicht gibt … und auch nie gab – im Gegensatz zur „Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 der Kommission vom 15. Juni 1988 zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken („Gurkenkrümmungsverordnung“), wobei auch bei der nicht festgelegt wurde, wie eine Salatgurke gekrümmt sein muss, sondern wie sie je nach Krümmung benannt und damit auch verkauft werden darf. 2009 wurde sie außer Kraft gesetzt.
Und wo wir gerade beim Essen sind: Spinat sei gesund, weil es viel Eisen enthalte. Auch das ein Irrtum, der auf einen Übersetzungsfehler beruht (diesmal vom metrischen Messsystem (mit kg etc.) ins imperiale Messsystem der USA (mit Unzen, Pfund etc.). Dass der Irrtum sich so lange hält und nicht bekannt wird, dass beispielweise Schokolade ein Vielfaches an Eisen enthält (80 mg/kg), hat heutzutage mutmaßlich eher pädagogische Gründe. Nicht alles also, was man mit Eisen in Verbindung bringt, hält ewig. Siehe auch Bicakcic. Dazu gleich mehr.
Und noch ein letzter populärer Irrtum, der ebenfalls auf einen Fehler im Übertrag zurückzuführen ist, bezieht sich auf das, was Einstein am 14. März 1951 am Rande seines 72. Geburtstags in Princeton dem Fotografen Arthur Sasse entgegenstreckte: seine Zunge, was zu diesem Bild führte, das übrigens nach seinen eigenen Worten seine politischen Anschauungen wiedergab, da er der Meinung war:
„Die Herrschaft der Dummen ist unüberwindlich, weil es so viele sind und ihre Stimmen genauso zählen wie unsere.“
Vielleicht es dieses Zitat, das dafür sorgte, das Einstein auch für dieses Bonmot bekannt wurde:
„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Dumm nur: Das hat Einstein nie gesagt. Noch so ein Irrtum. Der wiederum geht zurück auf das Buch Das Ich, der Hunger und die Aggression des Psychiaters Fritz Perl, der schrieb, dass ein „großer Astronom“ gesagt habe, dass zwei Dinge, soweit wir wissen, unendlich seien – das Weltall und die menschliche Dummheit. „Heute wissen wir, dass diese Aussage nicht ganz richtig ist. Einstein hat bewiesen, dass das Weltall begrenzt ist.“
Was Einstein zudem bewies ist eben Humor, denn er wollte, dass sich dieses Bild von ihm und seiner Zunge verbreitet. Aus oben genannten Gründen. Sicherlich fanden viele, insbesondere seine Kollegen, denen er das Bild hat zukommen lassen, nicht standesgemäß, dass ein so renommierter Mann ein solch unschickliches Bild verschickt – ja, geradezu geschmacklos, wobei sie das ja gerade nicht ist, die Zunge. Doch sie nimmt Geschmack ganz anders wahr – und mehr als man denkt.
Seit über 100 Jahren geistert eine falsche Meldung über die Zunge, wonach die Wahrnehmung der verschiedenen Geschmacksrichtungen auf bestimmte Zonen der Zunge begrenzt sei. Im Jahr 1901 erstellte der deutsche Geschmacksforscher David P. Hänig eine Abbildung, die die Verteilung der Geschmacksrezeptoren richtig zeigte. Diese Abbildung wurde von amerikanischen Forschern schlicht falsch interpretiert – sie setzten die Mär von den Geschmacksregionen in die Welt. Demnach sollte Süßes mit der Zungenspitze, Salziges und Saures am Rand zu schmecken sein. In Wirklichkeit sind alle Geschmacksrezeptoren fast gleich auf der Zunge verteilt. Einzig die Bitter-Rezeptoren sind etwas stärker am hinteren Ende der Zunge, dem so genannten Zungengrund konzentriert. Darüber hinaus wurde bereits 1942 ein fünfter Geschmack entdeckt, der zu den grundlegenden Sinnesqualitäten der gustatorischen Wahrnehmung beim Menschen zählt und als „fleischig“, „würzig“ oder „wohlschmeckend“ beschrieben wird: umami.
Also viele, viele Irrtümer – und nur ganz wenige Gründe für deren ursächliche Entstehung. Übertragungsfehler und Wunschdenken sowie entsprechend viele Menschen, die es ohne zu überprüfen nachplappern, weil es zu passen scheint.
Eine herrliche Erklärung auch für unseren eingangs erwähnten Irrtum, denn das Spiel gegen die Bayern war nicht schlecht und in Anbetracht des Personals, das uns letzte Woche zur Verfügung stand, gegenüber dem der Gäste, sogar verhältnismäßig gut zu nennen, so dass man durchaus zu dem Schluss gelangen konnte, dass wir mit der gleichen Mannschaft, denn das Lazarett will sich nicht lichten, und gleicher Leistung gegen einen schwächeren Gegner ein stärkeres Spiel unserer Mannschaft sehen würden, auch wenn es gegen einen Gegner ging, gegen den wir seit vielen Jahren nicht wirklich gut aussahen.
Die Qualitäten der Freiburger waren bekannt und so war klar, was uns erwarten würde. Dennoch überraschten uns die Gäste offensichtlich mit ihrem frühen Pressing, so dass es zu keinem geordneten Aufbauspiel kam. Das, was Baumann, Vogt, Nuhu und Zuber versuchten, von hinten heraus zu spielen, hatte wenig mit Fußball, aber sehr viel mit Vabanque zu tun. Da Grillitsch entweder zugestellt oder aus einem anderen Grund nicht anspielbar war, half letztlich oftmals nur der lange Ball, um die Situation zu bereinigen. Diese langen Bälle aber erreichten überraschend oft Szalai und Joelinton, denen es immer wieder gelang, die Bälle halbwegs festzumachen, auf die Außen oder steil zu spielen und so die Räume, die sich uns durch das hohe Anlaufen der Freiburger boten, zu nutzen.
Leider war Bittencourt in der einen Szene einige Zentimeter zu nah am Tor, in der anderen der Ball zu nah am Keeper, aber trotz des nicht wirklich souveränen Aufbauspiels lag das 1:0 in der Luft, dann aber Bicakcic am Boden. Nun ist das an sich kein Grund zur Sorge, denn er tut das zwei-, dreimal pro Spiel, aber diesmal tat er es ohne Fremdeinwirkung. Und wie schon oben erwähnt: Nicht alles also, was man mit Eisen in Verbindung bringt, hält ewig. Eisen-Ermin musste raus – und das war dann auch irgendwie die Power in unserem Spiel.
Akpoguma trug auch nichts zur Verbesserung des Aufbauspiels bei, Grillitsch wirkte immer noch recht grundlos auf dem Platz und so nach und nach gelang es den Gästen, uns auch im Mittelfeld den Schneid abzukaufen und selbst zu Chancen zu kommen. Bei der Abwehr einer solchen rasselten Akpoguma und sein Gegenspieler mit dem Kopf zusammen, was so schlimm nicht aussah, aber man darf ja nicht vergessen, dass Kevin einen Genickbruch erlitt, und wahrlich nur ganz knapp einer Querschnittslähmung (oder Schlimmerem) entging, so dass da schon etwas Sorge war. Zum Glück stand er wieder auf, aber halt doch neben sich, wie man danach erfuhr, denn er erlitt einen Bruch der Augenhöhle. Lächerlich im Vergleich zu seiner Verletzung davor, aber dennoch unlustig für ihn – und auch die Fans im Stadion fanden seine äußerst ungeschickte Abwehr nicht witzig, war sie doch die Vorlage für die Breisgauer Führung. Erst als er auch in der Halbzeit draußen blieb, ahnte man schon, dass er mindestens Karius, wenn nicht Kramer hat.
Jetzt ist es sogar noch schlimmer – und unsere Verletztenliste noch länger: Geiger, Rupp, Otto, Hübner, Amiri, Demirbay, Bicakic, Akpoguma und als Letzter kam Nuhu hinzu, der kurz vor der Halbzeit nach einem Zusammenprall mit einem Freiburger diverse Blessuren am Fuß erlitt und wohl ebenfalls mehrere Wochen pausieren wird. Drei Innenverteidiger in 45 Minuten. Weg. Eins null hinten. Und was macht Nagelsmann? Geht nach vorn.
Für Nuhu wechselt er Kramaric ein, stellt um, aber sich die Mannschaft immer noch doof an. Leichtfertiger Ballverlust, Baumann geht raus, zieht (sich) zurück, wodurch die Chance erst riesig wird, aber noch riesiger sein Fußreflex. Sein Gegenüber stand ihm aber auch in dem Punkt in nichts nach. Wie bereits bei der Chance Bittencourts nach der ersten Viertelstunde rettet er mit einer Wahnsinnsparade eine Wahnsinnskombination nach der dritten Viertelstunde von Vogt lang auf Schulz, der direkt auf Szalai, der den Ball top mit seinem Kopp platz-, der aber nicht die Linie passiert.
Es wurde ein anderes Spiel, ein besseres Spiel. Grillitsch war auf einmal anspielbar und auch bereit, in Zweikämpfe zu gehen. Mit Kramaric wurde zudem unser Spiel variabler. Die Freiburger standen wesentlich tiefer auf einmal – und dankenswerterweise sich dann auch zu dritt im Weg. Klassischer Fall von „Nimm du ihn, ich hab ihn sicher“, an dessen Ende der Ball im Freiburger Netz landete, in das ihn Szalai drückte, nachdem er den Ball von einem Freiburger Verteidiger zugeköpft bekam. Der Ausgleich war so noch kurioser als die Führung der Freiburger.
Und wir setzen nach, Kramaric sich immer besser und in schöner Regelmäßigkeit auch Schulz in Szene. Ein schöner Pass in die Tiefe, wo Schulz eigentlich hätte Abseits stehen müssen, wenn die Freiburger Innenverteidigung nicht gepennt hätte. So brachte dieser den Ball nach innen und Szalai ihn erneut ins Netz. Nach vielen Jahren haben wir mal wieder ein Spiel gedreht, weil es plötzlich vorne lief – und hinten auch, aber eher umher als gut. Und der Fußballgott war uns eindeutig wohlgesonnen, denn erst landete Petersens Kopfball, den er nur erreichen konnte, weil Baumann den Ball völlig falsch einschätzte und dann samt Armen weniger hoch kam als der Freiburger Stürmer, an die Latte, von da zurück und gerade so weit hinter den in der Mitte stehenden Angreifer, dass der die Kugel mit seiner Hacke nicht mehr erreichen konnte. Nein, souverän sieht anders aus.
Trotz aller Überlegenheit gewannen wir einfach bis zum Schluss keine Sicherheit in den Aktionen, aber – und das ist ja das alles Entscheidende – das Spiel dann sogar noch mit 3:1.
Die Nachspielzeit war schon abgelaufen, als der Schiedsrichter den Freiburgern die Ausführung noch eines Eckballs zugestand. Zehn Mann belagerten den Hoffenheimer Strafraum. Trotzdem gelang es, den Ball abzufangen – und plötzlich lagen zwischen Bittencourt und Tor nur noch 60-70 Meter Grün.
Es hätte eine Szene wie im Endspiel des DFB-Pokals der letzten Saison werden können, aber Bittencourt war platt, also schoss er den Ball einfach nach vorn. Er wäre am Tor vorbei, wenn er es überhaupt über die Grundlinie gebracht hätte, aber einer war mitgelaufen und freute sich schon über das Geschenk, bevor er am Ball war. Kramaric breitete die Arme aus und netzte ein.
3 Punkte nach den beiden ersten Spielen, ausgeglichenes Torverhältnis, alles gut … auf der Zahlenebene. Und auch das Mannschaftsgefüge, die Stimmung, die Bereitschaft zu kämpfen, alles ist da und gut, aber es wäre ein riesiger Irrtum zu glauben, dass das reichen wird. So gut balanciert es jetzt tabellarisch aussieht, wirklich umami ist das Spiel unserer Mannschaft noch nicht. Noch fehlt das Pfeffer … und mit Geiger, Rupp, Otto, Hübner, Amiri, Demirbay, Bicakic, Akpoguma, Nuhu eben fast eine ganze Mannschaft. Das kann einem schon sauer aufstoßen, und es wäre wirklich bitter, wenn dem so bliebe.
Aber allein, wenn wir an Souveränität und Sicherheit gewännen, gewänne unser Spiel an Süße. Doch am besten würde es uns schmecken, wenn wir nach der Länderspielpause satt punkten, denn da geht es ja gleich richtig fett weiter – mit Doppel-D in der Bundesliga: Düsseldorf und Dortmund und dazwischen wartet in der Champions League noch ein D auf uns: Donezk.
Mal sehen, was einem da dann serviert wird. Aber da wir das eh nicht beeinflussen können, lassen wir noch einmal Albert Einstein zu Wort kommen, schließlich ist uns niemand bekannt, der sich so selten in seinen Prognosen irrte wie er – und auch da hat er Recht:
Ich denke niemals an die Zukunft.
Sie kommt früh genug.
Submit a Comment