1899 Hoffenheim vs. FC Augsburg
Boris.
oder: nomen sit omen
Die Ausgangslage war denkbar schlecht.
In erster Linie selbstverständlich aufgrund des schweren Autounfalls, den Boris Vukcevic am Freitag vor dem Spiel hatte und bei dem er lebensgefährlich verletzt wurde.
Auch wenn so etwas tagtäglich auf Deutschlands Landstraßen passiert und man in einem anderen Falle wahrscheinlich ganz anders dächte und mit nur wenig Mitleid spräche, wenn ein 22-Jähriger mit einem solchen Wagen zu Schaden gekommen wäre, es ist immer etwas anderes, wenn man einen persönlichen Bezug hat.
Der Unfall ging an den Fans und schon gar nicht an den Arbeitskollegen spurlos vorbei – nicht nur wegen des persönlichen Bezug zum Mitspieler. Jeder kennt die Strecke und keiner der Letztgenannten fährt einen Mittelklassewagen.
Natürlich kann man auch die Frage aufwerfen, ob so junge Menschen so kraftvolle Maschinen beherrschen können, was aber impliziert, dass Vukcevic wesentlich zu schnell war.
Erstens ist das nicht bewiesen, zweitens fährt niemand an der Stelle 70, drittens ist er Diabetiker, was ja ebenfalls eine Rolle gespielt haben kann. Zudem gibt es immer noch die Möglichkeit eines technischen Defekts wie einen geplatzten Reifen.
Und würde der Verein den Spielern verbieten wollen, solche Autos zu fahren, wäre dies wohl auch nur schwer mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie sind über 18, sie haben eine Fahrerlaubnis und das Geld, sich solche Autos zu kaufen.
Anders wäre es, wenn ein Sponsor den Spielern solche Autos zur Verfügung stellen würde. Da gäbe es eine Handhabe für den Verein, so etwas vertraglich zu regeln, so wie es Sir Alex Ferguson zu Beginn der Saison tat. Er sprach ein Corvette-Verbot für alle Spieler unter 23 aus. Diese Autos wurden den Spielern von Manchester United von seinem Werbepartner Chevrolet angeboten.
Aus diesem Verbot aber Weitsicht der Trainer-Legende zu schlussfolgern, ist fraglich. Es hat eher etwas mit einem gewissen Konservatismus zu tun. Dazu passt, dass er Jahre zuvor Jugendspielern das Tragen bunter Fußballschuhe untersagte. (Eine Regelung, die unsere volle Unterstützung hat. Wäre es juristisch möglich, wir würden auch den Besuch von Friseur- und Tattooläden reglementieren.)
Die Mannschaft hat sich entschlossen zu spielen. Auch die Eltern des Spielers gaben ihr Placet. Und das war auch gut so – auch wenn es das Spiel nicht war. Doch das ist völlig egal.
„Fußball ist die schönste Nebensache der Welt.“ Eben. Neben.
Hauptsache ist die Gesundheit des Einzelnen. Und selbst wenn Vukcevic nie wieder würde Fußball spielen können, er könnte noch so vieles anders tun, wenn er wieder gesund wird. (Es gab andere Vereine, die nicht minder tragische Momente durchleben mussten. Stichwort: Enke.)
Die Mannschaft spielte. Auch weil man sich darin eine positive Auswirkung auf seine Genesung erhoffte, wird Markus Babbel zitiert, ein Mann, der selbst schon lebensbedrohlich erkrankt war. Kaum hatte er das Pfeiffer’sche Drüsenfieber auskuriert, erkrankte er am Guillain-Barré-Syndrom. Und heute ist er wieder gesund und immer noch aktiv im Fußball.
Vielleicht auch eine Parallele, aus der sich Hoffnung schöpfen lässt. Eine weitere begleitet ihn von Anfang an: sein Vorname.
„Boris“ ist (süd)slawischen Ursprungs, abgeleitet aus „boriti se“ (ringen) und bedeutet „der Kämpfer“.
Und genau das („kämpfen“) wollte die Mannschaft. „Für Boris.“ Angeblich die beiden einzigen Worte, die der Trainer vor dem Spiel an die Mannschaft richtete.
Das klingt gut, wenngleich sehr nach Drehbuch.
Auch wenn unser Verein in Sachen Dramen, Tragödien und Theater für manchen Außenstehenden den Eindruck erwecken mag, dass es so viel Unterschiede zwischen Hoffenheim und Hollywood nicht gibt, es gibt sie. Wenn man schon spielt, dann richtig. Dazu gehört auch eine entsprechende Ansprache.
Die diesmal sehr wenigen Besucher taten mehr als üblich. Man ahnte, dass man nicht die Mannschaft sehen würde, die in den letzten beiden Spielen deutliche Verbesserungen zeigte. Und an diesen Ergebnissen sowie der Spielweise orientierte sich auch die Taktik der Gäste. Sehr defensiv.
Das Spiel war so lau wie das Lüftchen, das über den Kraichgau strich.
Unserer Mannschaft fehlte an diesem Nachmittag (verständlicherweise) einfach die Spritzigkeit, an die Leistungen der letzten beiden Spiele anzuknüpfen. Da war keine Laufbereitschaft, kaum Kombinationen, schlechtes Passspiel. Plus eben ein Gegner, der schon vor dem Anpfiff einem 0:0 zugestimmt hätte.
Sie kamen so gut wie nie vor unser Tor. Selbst in unsere Hälfte kamen sie nur zu Stippvisiten. Und selbst wenn wir einen gefühlten Ballbesitz von über 70% hatten, vor deren Tor kamen wir auch nicht. Vielmehr machte sich Mitte der 2. Halbzeit der Gästetorwart vor seinem Sechzehner warm.
Eigentlich passierte im ganzen Spiel fast gar nichts, aber es lebte halt von der Hoffnung auf das eine Tor. Das nicht fiel.
Dafür relativ früh relativ grundlos ein Gegner, was Volland schon in der 10. Minute eine Verwarnung durch den schlechtesten Mann auf dem Platz einbrachte.
Der Mann hatte keine Linie, bei Entscheidungen solcher Kleinigkeiten wie Einwürfen und Eckbällen hatte er Zeit und dann hatte er auch mal gerne eine andere Meinung als wenige Sekunden zuvor.
Kurz vor Schluss schickte er Babbel auf die Tribüne, nachdem er zuerst Compper zu sich bestellt hatte, dass dieser seinem Trainer irgendetwas ausrichten möge, und danach den erst wenige Minuten zuvor eingewechselten Salihovic nach einem Foulspiel mit glatt Rot vom Platz.
Zwei Dinge:
a) 2 rote Karten nach 6 Spieltagen bei einer Gesamteinsatzzeit von kaum mehr als einer Stunde, das ist hinterfragwürdig, zumal das Foulspiel auf Höhe der Mittellinie stattfand, wo an sich, wie im Rest des Spiel, gar nichts los war. Warum macht der Mann das?
Spannend, dass ab diesem Zeitpunkt das Spiel seine beste Phase hatte – und man sich als Hoffenheim-Fan gerne an das letzte Heimspiel erinnerte, wo auch erst in den letzten Minuten die drei Punkte gewonnen wurden. Aber nach rund 92 Minuten ertönte dann zum letzten Mal die Pfeife. Herrliche Überleitung:
b) Der Schiedsrichter. Wie kann die DFL für dieses Spiel einen Menschen aus der Stadt ansetzen, gegen die wir gerade mal drei Tage zuvor 3:0 gewannen und der landsmannschaftlich der Gastmannschaft verbunden ist? Denn auch wenn die Stadt in Bayern liegt, ist sie Sitz der Regierung von Schwaben sowie des Bezirks Schwaben.
Unparteiisch? Was wäre wohl los, wenn bei einem WM- oder EM-Spiel Deutschland gegen Russland spielte und der Schiedsrichter käme aus Minsk (Weißrussland)? Gschmäckle.
Was bleibt ist die Hoffnung auf Besserung.
Bei den Ansetzungen.
Fürs Spiel.
Für Boris.
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