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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1899 Hoffenheim vs. Динамо Київ

Resistenz + Renitenz = Resilienz

Der Sieg über sich selbst

Am 12. Mai diesen Jahres war es, dass die TSG zuletzt zu Null spielte – und siegte! Aber das war in der Ferne beim dann Absteiger SV Darmstadt 98. Aber der letzte Heimsieg zu Null. Der liegt noch viel weiter zurück. Genauer: ein Jahr, eine Woche und drei Tage. Auch am 23. September 2023 (!) hieß das Endergebnis 2:0 – und der damalige Gegner kam ebenfalls aus einer Hauptstadt und er hatte ebenfalls einen herrlich sozialistischen Namen. Nein, es war nicht Energie Cottbus, Chemie Leipzig, SV Traktor Priestewitz, sondern Union Berlin. Jetzt war es Dynamo, nein, nicht: Dresden, sondern Kiew.

Dynamo Kiew! Was für ein Name. Im Grunde das Real Madrid hinter dem Eisernen Vorhang:

  • 13-facher Meister der Sowjetunion
  • 9-facher Pokalsieger der Sowjetunion
  • 3-facher Supercupsieger der Sowjetunion

Und auch gesamteuropäischer Bühne machte das Team rund um Oleg Blochin auf dem Platz sowie dem Großmeister des Stoizismus auf der Trainerbank Walerij Lobanowskyj Furore:

  • 2-facher Sieger im Europapokalsieger der Pokalsieger
  • UEFA-Supercup-Sieger 1975
  • 2-facher Halbfinalist im Europapokal der Landesmeister (heute: Champions League, wo sie 1998/99 ebenfalls im Halbfinale standen, damals aber unter inzwischen ukrainischer Flagge.

Dort sind sie

  • 16-maliger Meister
  • 13-maliger Pokalsieger
  • 9-maliger Supercupsieger
  • 1-maliger Halbfinalist im UEFA-Pokal.

Letzteres war ihr letzter großer Auftritt in Europa. Just in der Saison, in der die TSG ihre Premierensaison in der Bundesliga feierte.

Nun, am 34. Tag der deutschen Einheit kam es zum ersten Aufeinandertreffen der beiden Teams – und das unter für beide, wenngleich völlig unterschiedlichen Gründen, beschissenen Voraussetzungen.

Dass die Ukraine seit Februar 2022 sich mit dem einst großer Bruder Russland seit dessen Einmarsch in ihr Land im Krieg befindet, muss hier wohl nicht erwähnt und schon gar nicht erörtert werden. Es ist, wie es ist – und es ist Scheiße. Für alle Beteiligten. Und auch Millionen Unbeteiligter. Und alle sind Verlierer. Wie gesagt: Scheiße.

Im Verhältnis dazu sind ja unsere Probleme pillepalle. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten, wenngleich sie im Detail kaum unterschiedlicher sein könnten, die sich auch in dem Spiel wiederfanden, die alle drei das Gleiche meinen – und doch auch was ganz anderes: Resistenz, Renitenz und Resilienz bedeuten einerseits allesamt schlicht Widerstand. Im Detail, wie so oft, ist es nicht ganz so schlicht:

Resistenz (von lat.: resistentia: „Widerstand“:
Im klassischen, biologischen Sinne beschreibt der Begriff die Widerstandsfähigkeit eines Lebewesens gegen schädliche Einflüsse der Umwelt (wie z. B. Parasiten, Infektionen, Krankheiten, Umwelteinflüsse.
Daraus leitet sich auch die Resistance ab, der Oberbegriff für die politischen Bewegungen in Frankreich, Belgien und Luxemburg ab, die sich Widerstand zu den Nazis befanden.

Renitenz (von lat. renitent):
Dieser Begriff bezeichnet ein Sozialverhalten einer Einzelperson bzw. Gruppe, für das Deutsche eine Vielzahl von Worten kennt: Aufsässigkeit, Widerspenstigkeit, Kompromisslosigkeit, Ungehorsam, Störrischkeit, Bockigkeit.

Resilienz (von lat. : resilire: zurückspringen, abprallen, nicht anhaften):
Im psychologischen Sinne steht dieses Fach- und zum Teil schon Modewort für die Anpassungsfähigkeit einer Person oder Gruppe bzw. den Prozess, in dem Personen auf Probleme und Veränderungen mit Anpassung ihres Verhaltens reagieren. Diese Anpassungsfähigkeit hilft Menschen plötzliche Veränderungen, Schicksalsschläge oder andere, weitere als negativ empfundenen Nachrichten und/oder Situationen besser dergestalt zu verarbeiten, dass sie selbst daraus keine psychisch langfristigen Schäden erleiden (von Stress bis Traumata).

Ob die hier als Überschrift formulierte Gleichung immer so aufgeht, darf – und im akademischen Sinne: muss bezweifelt werden, u.a. deshalb, weil im akademischen Sinne alles bezweifelt werden muss. Naja, vielleicht nicht ganz, aber darf – und auf jeden Fall sollte.

Kritisch sein ist immer gut, aber es darf nicht so weit gehen, dass man faktenresistent wird. Wenn die Fakten der eigenen Meinung widersprechen, muss (nicht: darf, nicht: sollte, sondern muss) man seine Meinung ändern, will man geistig gesund bleiben. Wenn nicht, reicht darf. 🙂

Solltest du, geneigte/r Leser/in, ein Interesse daran, haben, geistig gesund zu bleiben, haben wir hier für dich eine kleine Hilfestellung:

Der Excel-Ego-Booster

Jede Niederlage ein Gewinn

Lerne dir zu misstrauen und dich zu lieben.
Dafür brauchst du keine wirklichen Excel-Kenntnisse, eine einfache Liste tut es auch.

Schreibe auf die eine Seite deine Vermutung, auf die andere Seite das Ergebnis
– im Grunde wie ein Tippspiel –
und notiere dir einfach, wie oft beides übereinstimmt.

Versuche dabei, deine Vermutung so genau wie möglich zu verfassen
(auf jeden Fall enger als die Voraussagen in einem Horoskop)
und ebenso exakt, also ehrlich das Ergebnis.
Und für jeden Volltreffer gibt es einen Punkt.

Der Begründer der analytischen Psychologie Carl Gustav Jung formulierte dieses recht bekannte Aperçu:

„Denken ist schwer. Deshalb urteilen Menschen lieber.“

Da hat er gewiss nicht Unrecht. Was die Menschen aber mindestens so gerne tun, ist, sich auf ihr Bauchgefühl zu verlassen. Dessen Bedeutung und das Vertrauen der Menschen darin nahm in den letzten Jahren mindestens genauso zu wie das Volumen jenes Gefühlsortes, was in beiderlei Fällen nicht selten im Konsum begründet ist. Wir würden daher C. G. Jungs Aperçu erweitern auf:

„Wer nur Mist frisst, wird fett.
Wer nur Mist liest, wird blöd.“

Aber ist dieses Vertrauen überhaupt gerechtfertigt? Dieser Test wird es weisen. Und seien wir mal alle ganz ehrlich, wir alle neigen doch viel mehr dazu, etwas Negatives anzunehmen. Ja, es gibt die unsinnige „Begründung“ dafür, dass das die Resilienz insofern fördere, weil man sich dann, wenn es eintritt, weniger ärgere oder davon aus der Bahn werfen lasse bzw., wenn es nicht eintritt, mehr freue.

Dass das Kokolores ist, beweist doch schon das letzte Bundesligaspiel. Selbst der/die, der/die nach der 3:0-Führung dachte, das Spiel gehe noch verloren, selbst nach der Roten Karte gegen Nsoki, ärgerte sich doch genauso wie alle anderen. Er/Sie hatte nur den bitteren Triumph des „Schabbs gwisst! Schabbs gwisst!“, aber der Ärger ist da doch mindestens so groß wie bei allen anderen.

Das Gleiche – nur noch schlimmer – träfe zu, wenn dich, geneigte/r Leser/in, morgens „so ein komisches Gefühl“ beschleicht, dass einem Familienmitglied heute etwas ganz Schlimmes passieren würde. Klingelten tatsächlich am späten Abend zwei wildfremde Menschen vor der Tür, die sich nicht mit „Guten Tag, wir kommen von Zeugen Jehovas“ vorstellten, sondern das Gespräch begännen mit „Herr/Frau XXX, Kriminialpolizei. Dürfen wir reinkommen?“

Und sollte das Familienmitglied wie gewohnt nach Hause kommen, gäbe es auch keine Sonderbehandlung dafür. Das wiederum wohl aus dem Bauchgefühl, das Familienmitglied fände dich völlig irre, wenn du ihm sagtest: „Ich dachte, du stirbst heute.“ Auch wenn es die Wahrheit wäre.

Die Wahrheit über dein Bauchgefühl gibt dir dieser Test.
Und freue dich, wenn du daneben liegst.
Dann hast du Fakten gegen dein dich beweisbar irreführendes Bauchgefühl.

So schützt man sich einfach gegen negative Gedanken bis zum Eintritt des Ergebnisses
und fördert so auch im Idealfall seine Resilienz.

„Können wir auch mal über Fußball reden?“ (Der Red.)
„Ja, doch. Und tun wir doch die ganze Zeit.“

Am Montag verfassten wir folgenden Post auf unserer Facebook-Seite sowie dem Facebook-Portal für TSG-Fans (und Mitglieder), das für gewöhnlich höchst wenig erbaulichen Lesestoff bietet (s. o.):

Dir geht’s heute nur scheiße, weil du an das Spiel gestern denkst. Aber Donnerstag musst du wieder frei sein im Kopf, motiviert sein, Spaß haben und wirklich daran glauben, davon überzeugt sein, dass es klappt mit dem Punkten.

Damit bist du nicht allein. So dürfte es heute auch jedem Spieler und natürlich auch dem Trainer gehen.

Jetzt mal nicht bashen, sondern nur mal versuchen, empathisch zu sein. Denn so sieht’s aus: (zurück auf Anfang)

Das passte natürlich perfekt, aber so gar nicht zum allgemeinen Tenor dieses Portals, wo natürlich wieder einmal die Welt unterging, weil (im Grunde) alle scheiße sind / alles scheiße ist. So kann Resilienz niemals funktionieren.

Aber es soll ja Leute geben, denen es besser geht, wenn die Dinge nicht in ihrem Sinne verlaufen. Ja, Angst gibt Sicherheit. Aber Angst ist immer ein diffuses Gefühl, das nicht selten aus einem mangelnden Selbstvertrauen erwächst. Aber für mehr Vertrauen in einen selbst, haben wir ja oben den Test angeboten. Bei wem wäre da gestanden: „Wir schlagen Dynamo Kiew 2:0?“ Schon mal kein Punkt. 🙂

Jetzt ist das Spiel vorbei. Wir siegten gegen den ukrainischen Vizemeister und nach 6 Spieltagen aktuellen und niederlagsfreien Tabellenführer der Premjer-Liha. Weil unsere Mannschaft, weil unser Trainer frei war im Kopf, motiviert war, Spaß hatte und wirklich daran glaubte, davon überzeugt war, dass es klappt mit dem Punkten.

DAS ist Resilienz.
Was für eine Leistung.

Man kann gar nicht so viele Hüte tragen, wie man vor diesem Auftritt ziehen möchte. Vom Anpfiff an zeigte das Team von Pellegrino Matarazzo Spielfreude. Mit großer Leichtigkeit lief das Leder von links nach rechts, zurück nach vorn, ohne Stress, aber mit Plan.

Es wurde hoch gepresst, es wurde synchron angelaufen und viele Bälle erobert. Das war mehr als ansehnlich. Und das mit einer erneut neuen Aufstellung, in der auch Nsoki stand, der ja nur für die Bundesliga gesperrt ist. Eine psychologische Meisterleistung des Trainers und eine echte Herausforderung für den Spieler, der genau wusste, was für ihn in diesem Spiel auf selbigem stand. Wir möchten ihn jetzt nicht zum Resilienzmonster küren, aber er hielt dem Druck stand. Außer einigen Abspielfehlern machte er eine fehlerfreie Partie.

Wie insgesamt die gesamte Mannschaft im Wesentlichen fehlerfrei spielte. Nur haperte es diesmal bei der Chancenverwertung. Bereits in der ersten Viertelstunde gab es mehr als eine sehr gute Einschusschance.

Was es nur bedingt gab, war Anfeuerung aus der Südkurve, womit nun auch endlich die Renitenz ins Spiel kommt. Unsere Ultras verweigerten zwar diesmal nicht ihre Gegenwart, aber wie bereits beim Bremen-Spiel ihren Support bis zu Minute 18:99 (aka 19:39).

Die Mannschaft spielte klasse Fußball, flüssig, lebendig, mutig, aber deren Block bockte. Sogar um sie rum gab es teilweise Gesänge, weil die Mannschaft – und nur um die geht’s (sollte es gehen) – Applaus und auch lautstarken Zuspruch verdient hatte, aber sie blieben störrisch und kompromisslos still – auch nachdem Kramaric eine 100%ige Torchance aus weit weniger als 18 Metern kaum mehr als 18 cm neben das Tor setzte. Es waren ja auch noch keine 18 Minuten gespielt.

Der Fußballgott aber, der sie zuletzt noch so alttestamentarisch abgestraft hatte, zeigte sich diesmal von seiner gütigen Seite, schließlich gaben sie sich diesmal nicht ganz so aufsässig wie zuletzt, sie waren immerhin auf ihren Plätzen – und sie setzten zum versprochenen Zeitpunkt mit ihren Gesängen ein. Und kaum ward das geschehen, geschah es: Gendrey flankt, Hlosek netzt ein. Die hochverdiente 1:0-Führung für die TSG.

Diesmal durften sie das Tor sehen und konnten es auch ohne Schaum vor dem Mund bejubeln. Alle waren glücklich.

Zugegeben, von Kiew kam bis dahin nicht viel, aber eine Mannschaft ist halG nur so stark, wie es der Gegner zulässt – und bis dahin ließen wir gar nichts zu.. Das änderte sich leider nach dem Führungstreffer. In den 15 Minuten vor und nach der Halbzeit schien auf einmal der Faden gerissen. Das flüssige Spiel war dahin, und man konnte erkennen, dass auch die Ukrainer kicken konnten und wollten.

Doch auch wenn nach vorne wenig los war, hinten war es dasselbe – und das können wir ja schon lange nicht mehr sagen (23. September 2023 – s. o.) Und aus dieser soliden Abwehr kam der Ball dann doch wieder mal nach vorn und … wieder Hlosek, Hlosek, Doppelpass mit Kramaric, der unserem Spiel sichtlich gut tat, Hlosek: 2:0.

Der Rest war Verwaltungsfußball, was in dem Fall ein Lob ist, schließlich müssen wir Sonntag schon wieder ran und das bei einem Gegner, der nicht nur, weil er zuhause spielt, und auf europäischer Ebene bislang nur einen Punkt holte, anders und hochmotiviert gegen uns auftreten wird. Da wird auch innerhalb des Spiels Momente geben, wo man sehr resistent sein muss, zuweilen auch renitent und nicht zuletzt auch resilient.

Und zum Schluss noch ein extra Lob an den Trainer, dem es tatsächlich gelang, wie von uns in unserem offenen Brief an ihn erbeten, etwas von seiner Resilienz an die Mannschaft weiterzugeben. Das war mehr als nur „etwas“. Das war schon eher etwas Besonderes. Und das wurde auch von der gesamten Südkurve in Sprechchören mit seinem Namen goûtiert. Und das war wie der Sieg der Mannschaft an diesem Abend absolut verdient!

 

 

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