1. FC Union Berlin vs. 1899 Hoffenheim
Ein Haydn-Spaß
Alles andere als Kakophonie:
Die Kickofonie von Köpenick
In dem Kick war Musik. Und wenig überraschend erinnert das Spiel unseres Teams in Anbetracht der Herkunft unseres Trainers sowie unseres Sportvorstands an einen Österreicher.
Nein, nicht Falco, nicht Conchita Wurst, nicht an Andreas Gabelier, aber auch nicht an Wolfgang Amadeus Mozart, dazu war es viel zu wenig spielerisch, und es erinnerte auch weder an Richard noch Johann Strauss, dazu war es nicht strukturiert genug. Es erinnerte mehr an den Mann, der die Viererkette in die klassische Musik brachte, weswegen man ihn auch den „Vater der Sinfonie“ nennt: Joseph Haydn.
Haydn entwickelte die vier Satz-Struktur für eine Sinfonie, die zur klassischen Norm wurde.
Aufgebrochen hat diese Struktur ein gewisser Ludwig van Beethoven in dessen 9. Sinfonie, die nicht nur fünf Sätze hatte, sondern auch noch ein Chor. („Ode an die Freude“)
Nun wissen wir, dass in Österreich die musische Bildung in den Schulen einen höheren Stellenwert besitzt als bei uns. Und selbst, wenn der kleine Andreas und der kleine Christian sich nicht wirklich für die „Wiener Schule“ interessiert haben sollten, ist bei ihnen unverkennbar etwas hängengeblieben, denn das Spiel war völlig Haydn-durchsetzt.
Nehmen wir die Anfangsphase: Hier ist Allegro angesagt, es geht also schnell. Da werden Motive (Spielzüge) entwickelt und auf die Spitze getrieben. Es waren noch keine fünf Minuten gespielt, da hatte die TSG schon die Riesenchance aufs 1:0. Doch auch die Gäste hatten ihre Chancen (Kontrapunkte), wenngleich sich hier schon die ersten Dissonanzen auftaten. Olis Ausflug ins Halbfeld blieb zum Glück folgenlos, da der Berliner Stürmer so schwach aufs leere Tor schoss, dass Bernardo den Ball locker weggrätschen konnte.
Nach diesem Abtasten nahm man dann das Tempo raus. Die Verläufe wurden berechenbarer, die Überraschungen blieben aus, alles wurde gemächlicher – oder wie der Musikfreund sagt: Andante.
Nun ist Haydn aber Haydn. Das Besondere an ihm war nicht nur sein musikalisches Können, sondern auch sein Witz. Bei aller Liebe zum erhabenen und erhebenden Spiel seinerseits wusste er um das Problem der Rezeptionskompetenz des Publikums. Dieses erwartete ein schönes, gepflegtes Spiel, gleichzeitig ging dabei aber sein Engagement, seine freudige Anspannung verloren. Es galt also, etwas Besonderes zu machen, um das Publikum wieder wachzurütteln.
Nichts anderes tat Ilzers Elf. Die Parallelen zwischen Sinfonie Nr. 94 und dem Ende der 1. Halbzeit sind unverkennbar. Mitten im langsamen Satz ertönt auf einmal aus dem Nichts ein enormer Paukenschlag, weshalb man das Werk auch die „Paukenschlag-Sinfonie“ nennt.
234 Jahre nach seiner Uraufführung in London war es in Berlin-Köpenick ein Elfmeterpfiff, der exakt dasselbe tat: Die Fans der TSG waren wieder wach.
Kramaric verwandelt ungewohnt unsouverän, doch das Ding war drin und nur das zählte: Unsere erste Führung in der Saison 2025/26. Das ließ hoffen – und bewog dann natürlich auch den ein oder anderen, zur Freude ob der Führung etwas vorzeitig den Getränkestand aufzusuchen – natürlich im vollsten Vertrauen darauf, dass unsere Defensive auch in den letzten Minuten der Nachspielzeit nichts Gefährliches seitens der Gastgeber zulassen würde. Und so war es ja auch – und auch das erinnerte an ein Werk Haydns: das Streichquartett op. 33 Nr. 2, auch genannt „Der Scherz“.
Dieses Werk fügt mehrere scheinbare Schlüsse aneinander. So passiert es, dass das Publikum klatscht, weil es denkt, das Stück wäre zu Ende, aber nein, es geht weiter. Dann kommt wieder etwas, was nach Ende klingt, wieder klatscht das Publikum, wieder zu früh – und so weiter.
Und genau so war es ja auch hier, denn nach dem Tor pfiff der Schiedsrichter nicht zur Halbzeit, sondern zum Wiederanstoß. Und das tat er zwei Minuten später wieder, denn unsere Jungs nutzten den nächsten Ballbesitz zu einem schön schnörkellosen Spiel nach vorn, der nach einer Musterflanke von Lemperle mit einem Musterkopfball von Asllani ins lange Eck zum 2:0 vollendet wurde.
Dann erst pfiff der sehr gute Schiedsrichter zur Pause, in der dem Publikum jedoch kein Sekt gereicht wurde. Die Caterer hätten zu dem Zeitpunkt auch Champagner verkaufen können. So knallten nicht mal Kronkorken.
Egal, 2:0-Führung, das war schön, so konnte es weiter gehen – und das tat’s bekanntlich nicht, weil Oli schlicht einen Scheißtag im Allgemeinen und im Besonderen einen Ball nach einem Standard nicht erwischte. Zudem bekam unsere Defensive den Ball nicht weg, dafür die Offensive der Gastgeber das Ding ins Netz.
Zum einen erinnerte Oli da doch sehr an die Bühnenfigur von Haydns 60. Sinfonie („Il distratto“ (1774)), die viele musikalische „Verzettelungen“ und plötzliche Brüche enthält (aber Ende passt es auch da), zum anderen war das typisch für den 3. Satz einer Sinfonie: Tanz, später: Scherzo.
Aber die Einladung zum Tanz nahmen wir an. Auch wenn wir beim 1:2 eher wie in der ersten Tanzstunde wirkten, wo keiner so richtig zu wissen schien, wo der eigene Partner ist und in welche Richtung es nun geht, fand man sehr schnell zur Grundordnung zurück und nahm auch wieder Fahrt auf, insbesondere Touré, der sich den Ball aus der eigenen Hälfte bis fast an den gegnerischen Strafraum vorlegte, dabei zwei Gegnerspieler gefühlt stehenließ, obwohl diese de facto ebenfalls sprinteten und dann den Ball nach innen passte. Der verfehlte zwar den geplanten Mitspieler, weil das Zuspiel von einem Berliner abgewehrt werden konnte, dabei aber dem mitlaufenden Asllani vor die Füße fiel, der ihn dann nur noch über die Linie schieben musste, was er auch tat. 1:3. Wie gesagt: scherzo.
Jetzt fehlt natürlich noch das Finale, das in einer Sinfonie für gewöhnlich schnell ist – und das war es hier auch, auch wenn sich unsere Mannschaft wirklich sehr bemühte, das Tempo immer wieder zu verschleppen, um den Gegner nicht in den Rhythmus kommen lassen. Der Nachteil dabei war natürlich, dass man selbst nicht mehr so richtig in Schwung kam – und wirklich geklappt hat das beim Gegner nicht. Er kam mit Elan vors Tor, aber da zu wenig Chancen. Außer bei Standards – und so einer führte dann zum erneuten Anschlusstreffer, wo diesmal in der 71. Minute die ganze Defensive sich an Haydns Konfusion der Sinfonie Nr. 60 zu orientieren schien. Immer gefiel das nicht nur 1774 dem Heimpublikum.
Elf Minuten später hatte es weniger Gefallen an einer Szene, die an eine weitere Haydn Sinfonie erinnerte, die bereits zwei Jahre zuvor entstand: Nr. 45, was so ganz nebenbei das Tempo zeigt, in dem Haydn komponierte.
Bei dieser Sinfonie verlässt am Ende des Finales ein Musiker nach dem anderen die Bühne, löscht seine Kerze, und hört auf zu spielen. Am Schluss bleiben nur zwei Geiger übrig.
253 Jahre später – Auflösung der Analogie – musste der Torschütze zum 2:3 das Spielfeld verlassen, da er Lemperle im Strafraum beim Torschuss hinderte und sich dabei nur um den Arm unseres Spielers, nicht aber um den Ball kümmerte. Da Kramaric inzwischen draußen war, machte ihn halt Lemperle rein – per Panenka, mit der schönen Begründung, dass er im Abschlusstraining alle Elfer platziert, aber ver-schoss.
Neun Minuten Nachspielzeit, aber diesmal blieben die Paukenschläge aus. Keine wirklich überzeugende Partie insgesamt. Aber eine gut orchestrierte Aufführung mit Höhen und Tiefen. Es kristalliert sich mehr und mehr heraus, dass es richtig war, im Verein aufzuhören, an Stellschrauben zu ziehen, sondern komplett neue Saiten aufzuziehen. Die sind zwar noch nicht perfekt aufeinander abgestimmt, aber das Spiel ist insgesamt viel weniger, wie der Franzose sagt, dûre – und viel mehr Dur.
Und in der Stimmung, genauer D-Dur, schrieb Haydn auch die letzte seiner 104 Sinfonien.
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