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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1899 Hoffenheim vs. VfL Wolfsburg

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Närrische Zeiten zur besten Kaffee- und Kuchen-Zeit

Es war ein Katastrophenkick. Es war Pech. Es war sensationell.

So könnte man ganz gut die Spiele gegen den heutigen Gegner in dieser Saison zusammenfassen. Und es zeigt, dass der Trainer seinen Worten der steten Weiterentwicklung der Mannschaft auch Taten folgen lässt.

Vielleicht hat er auch nur Glück gehabt. Schipplock, so hieß es, war unter der Woche etwas angeschlagen, Abraham immer noch nicht fit, also stellte er wieder Strobl neben Süle in die Innenverteidigung, was er wesentlich besser machte, als das letzte Mal, und nach langer Zeit auch mal wieder jenen Mann von Anfang an auf, der an vier der fünf Toren in der ersten Halbzeit großen Anteil hatte, Anthony Modeste.

Schon in der vierten Minute bediente er nach einem wunderbaren Zuspiel von Salihovic Firmino, der den Ball auf eine Art und Weise ins Tor beförderte, für die es kein Wort gibt. „Brasilianesk“ trifft es vielleicht am besten, denn da kam technische Raffinesse, Intuition, Virtuosität und gewiss auch ein wenig Glück zusammen. Jedenfalls traf unser diesmal erneut nicht nur trikottechnischer Zehner, das achtelhohe Zuspiel so geschickt, dass ein Physikstudent seine liebe Müh‘ und Not hätte, fachgerecht zu beweisen, dass das überhaupt geht.

Der bis dahin sich in normalen Bahnen bewegende Ball nahm also den Impuls durch Firminos Fuß auf und änderte nicht nur seine Richtung in die richtige, sondern flog dabei noch über den in der letzten Partie nahezu unüberwindbaren Torwart der Gäste und senkte sich ins lange Eck – und das bereits nach weniger als fünf gespielten Minuten.

Diese Führung war zu dem Zeitpunkt doch überraschend, denn an sich war vor dieser Szene nichts los. Beide Mannschaften wirkten fahrig bei ihrem Bemühen, Struktur ins eigene Spiel zu bringen. Dabei machten die Gäste den besseren ersten Eindruck, aber wir halt den ersten Treffer.

Was natürlich im Überschwang der Gefühle sowie der Faszination der Geschehnisse (und vielleicht auch „dank“ der Tagesaktualität der Medien), aber halt nicht von uns vergessen wird, ist der Greenkeeper, dem wir an dieser Stelle unseren allergrößten Respekt zollen und höchsten Hut ziehen wollen. Ohne ihn und sein Team wäre dieser Treffer nicht möglich gewesen. Nämlich just an der Stelle der Kombination vor dem ersten Treffer glich der Rasen vor zwei Wochen eher einem Moor.  Beim letzten Heimspiel, und das war ja auch schon klasse, konnte man den Ball nicht schön kurz, knackig passen, da musste man ihn mit Füßen prügeln, damit er überhaupt ins Rollen kommt. Zu Beginn des Spiel konnte man zudem noch glauben, es war ihm zu gut gelungen, denn gerade als die Fahnenträger aufliefen, wurde noch einmal die Rasenbewässerung angeworfen – und das nicht zu knapp. Aber das störte eher die Schwenker, die das kurz ins Schwanken brachte; der wiedererlangten Qualität des Chlorophyllteppichs tat dies keinen Abbruch. Für uns grenzt es immer noch an ein Wunder, wie man das so schnell so gut hinbekommen kann. Chapeau!

A propos „Chapeau“: Die nächste Szene gehörte ebenfalls Modeste, der sich im Mittelfeld einen völlig unnützen Fehlpass leistete. Da wir eigentlich im Spielaufbau waren, war dies umso schmerzlicher, denn die Zuordnung stimmte überhaupt nicht. So war es den Gästen ein Leichtes, den Ausgleich zu erzielen.

Leider war es für die Fans auf der Nörgelgeraden noch leichter, den Schuldigen auszumachen: Anthony Modeste hatte natürlich die Chance erst ermöglicht, aber ist das ein Grund für unsere Innenverteidigung, hier: Süle, dem Gegner nur bis zum Sechzehner zu folgen? An dem Kreidestrich waren er und der spätere Torschütze noch fast gleichauf. Als dann die Flanke vor Casteels‘ Kasten kam, trabte Süle nur noch ohne Sulky, sprich: Gegenspieler, der nämlich durchlief und so völlig unbedrängt gegen den völlig chancenlosen Casteels einköpfen konnte.

Dabei waren diese ersten Unmutsbekundungen bereits die zweiten. Die ersten, vielleicht war es auch nur ein latent phobisches Raunen, verursachte unser Torwart, als er einen Ball wie in der Vorwoche vor dem Strafraum mit dem Fuß auf nicht sehr überzeugende Art und Weise klärte, aber dann doch wesentlich besser als vor acht Tagen.

Es ist in der Tat kein einfaches Publikum, das heimische. Da es aber das einzige ist, das wir haben, muss man damit leben und versuchen, das Beste daraus zu machen.

Die rund 26.000 Zuschauer bedeuteten zwar, dass das Stadion wieder einmal nicht ausverkauft war, was mit der Spielansetzung zu tun haben könnte: Sonntag, Kaffee und Kuchen bei Oma, Opa, Erbonkel/-tante, Faschingsferien sowie entsprechende -umzüge in manchen Gemeinden der Region, ABER immerhin war das eine Verdopplung der Zuschauerzahlen zur letzten Partie gegen denselben Gegner, was wir durch Unglück und Ungeschick verloren hatten, aber da pfiff, raunte, maulte, nöhlte niemand.

Doch zum Glück hatte der Gästekeeper nicht so einen Sahnetag wie das letzte Mal, Süle einen Kopf so eisern wie sein Wille und alle in der sonnenbeschienen RHEINECKARENA wieder Grund zu jubeln. Salihovic zog einen Freistoß fast von der Eckfahne aufs lange Eck, wo unser Längster auf dem Feld im Sprungduell den Längsten der Gäste dasselbe um Stirnesbreite war, wie sein Einsatz und das daraus resultierende Tor: überragend.

Da kam wieder Freude auf im Operettenhaus, wenngleich verhalten, doch das Verhalten sollte sich in den darauffolgenden 311 Sekunden enorm steigern. Denn in diesem Zeitraum gelangen Modeste die Treffer drei und vier für Hoffenheim. Ein platzierter Kuller- sowie ein lässiger Kopfball aus nächster Nähe sorgten für die unseres Wissens nach höchste Halbzeitführung des Vereins, die auch viel höher als „nur“ 4:1 hätte ausfallen können, denn allein Modeste hatte noch zwei gute bis große Chancen – und auch andere Spieler, z. B. Beck und Volland sorgten dafür, dass dem Gästekeeper nicht kalt wurde, auch wenn er im Schatten stand, zum Teil auch seiner selbst.

Auch uns erwärmte das Spiel, was uns aber dennoch nicht davon abhielt, mit einem leichten Bibbern die zweiten 45 Minuten anzugehen. Man hat ja von der Mannschaft schon einiges erlebt und man wusste, wie schnell sich bei uns ein Spiel drehen kann, leider meist zu Gunsten des Gegners.

Doch die Minuten verrannen und die Gäste verrannten sich ein ums andere Mal in der gut gestaffelten Abwehr unserer Elf. Allerdings dann gab es wieder eine Unachtsamkeit. Wieder war es Süle, der da nicht konsequent am Mann blieb: der Anschlusstreffer – und wieder kehrte gegen Mitte der 2. Halbzeit plötzliche Stille ins Stadion ein.

Die Mannschaft machte dabei gar nicht so einen nervösen Eindruck, aber das Publikum sah sich schon wieder in all seinen Befürchtungen bestätigt und „ahnte“ schon wieder was – und das war nichts Gutes, was sie da „ahnten“, doch auch das änderte sich wieder, als der Schiedsrichter eine klassische Seitblutgrätsche gegen Volland im Strafraum ahndete, was nicht nur zehn Minuten vor Schluss Elfmeter für uns uns bedeutete, sondern auch Platzverweis für den foulenden Spieler.

Salihovic … Das müsste als Erklärung reichen.

5:2. Jetzt war das Spiel endlich entschieden, aber noch nicht zu Ende. Das war es erst, nachdem sich auch der für Modeste eingewechselte Schipplock in die Torschützenliste eintragen durfte, was gleichbdeutend war mit dem 100. Tor in einem Spiel mit Hoffenheimbeteiligung in dieser Saison. Bei keiner Mannschaft fallen mehr Tore – und das Schöne: die meisten zu unseren Gunsten. Keine Mannschaft außer den Champions League-Finalisten des Vorjahres hat in dieser Saison mehr Tore erzielt als wir.

Das lässt sich also alles ganz gut an – und sieht auch gerade etwas beruhigender aus. „Nur“ noch sechs Punkte bis zum Tabellenneunten, „schon“ vier Punkte bis zum Tabellenelften (und immerhin zehn Punkte auf den Relegationsplatz), d.h. wir sind das Mittelfeld, ja: -feld, nicht: -maß.

Fußballerisch.

In Sachen feiern … da ist, wie in der Tabelle, doch noch Platz nach oben: Bezugnehmend auf die Pressekonferenz vor dem Spiel plante die Stadionregie im Falle eines Sieges nach dem Spiel eine Polonäse vor der Südkurve. Leider wussten die Spieler nichts davon, die, ebenso wie die Fans, eher das sonst übliche Ritual wollten. Als dann der Faschingsschlager ertönte, war die Verwirrung auf dem Rasen groß und selbiger auch schnell menschenleer, ohne dass einer der Spieler auf den Zaun stieg und den Sieg mit den Fans und dem üblichen Flehen nach den Buchstaben H, U, M, P und A feierte.

Vielleicht hatten die Spieler auch eher an den ständischen Tanz des polnischen Adels gedacht (s. o.), dem im 16. Jahrhundert noch im 4/4-Takt, aber nach 1700 feierlich geschrittenen Tanz im 3/4-Takt im Stile von Bach, Beethoven, Chopin, Liszt oder von Weber?

Diese Konfusion der Begrifflichkeiten gab es dann auch beim Stadionsprecher, der sein Bestes gab und die Zuschauer darum bat, als die Spieler plötzlich weg und die Fans darob sehr verwirrt waren, „im wahrsten Sinne des Wortes ‚Karneval'“ zu feiern, was nach dem Spiel natürlich keiner wollte, denn erstens feiert man hier „Fasching“, zweitens geht der Terminus „Karneval“ auf das Lateinische „carne levare“ („Fleisch wegnehmen“) bzw. lustiger „carbe vale“ (in etwa: „Fleisch, lebe wohl!“) zurück und spielt auf die „carnelevale“, die „fleischlose Zeit“ an, die am Mittwoch beginnende „Fastenzeit“.

Dabei schmeckte die Stadionwurst selten so gut, wie nach diesem Sieg.

(Bildquelle: Uwe Grün, Kraichgaufoto)

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