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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1899 Hoffenheim vs. SC Paderborn

Messe statt Kirmes

Die Hohe Kunst des Spektakels

Die Parallelen zwischen Religion und Fußball sind allgemein bekannt und wurden auch hier schon des Öfteren beschrieben, ja auch durchaus strapaziert. Aber wenn es so ist …

A propos „strapaziert“: Auch der Begriff des „Spektakels“ wurde das – insbesondere mit unserer Mannschaft, gerade in der letzten Saison. Auslöser hierfür war vor allem die Anzahl der Tore. Ein sehr evidentes Merkmal, zugegebenermaßen massentauglich, aber letztlich oberflächlich, profan. Ähnlich dem Spektakel, das einem auf Jahrmärkten angeboten wird: bunt, laut, schnell, schrill. Geflacker, Geschreie, „Kommen Sie! Sehen Sie! Staunen Sie! Jedes Los gewinnt!“

Ja, aber die eigene Mannschaft nicht. Nicht unbedingt. Dem Freund des Spektakels ist das aber egal. Das Spektakel steht über allem, wie das eben so ist auf dem Jahrmarkt bzw. der Kerwe, wie man hier sagt zu „Kirchweihfesten“ bzw. hochdeutsch: Messe.

Zum Glück gibt es aber noch viele andere Arten von Messen, z. B. themenbezogene Ausstellungen mit wirtschaftlichem Hintergrund, aber eben auch Dinge, die weniger oberflächlich sind, die etwas mehr Tiefgang besitzen, weil sie nach Höherem streben, wie z. B. der römisch-katholische Gottesdienst oder eben auf seiner Liturgie basierende musikalische Kompositionen.

Liturgie, das sei nur mal so am Rande erwähnt, ist, zumindest nach seiner Wortbedeutung her, auch auf Massentauglichkeit getrimmt, leitet es sich doch aus dem Griechischen λειτουργία leiturgía ‚öffentlicher Dienst‘ ab – und das wiederum aus λαός/λεώς/λειτός laós, leōs, leitós ‚Volk‘, ‚Volksmenge‘ und ἔργον érgon ‚Werk‘, ‚Dienst‘.

Das gestrige Spiel war ein solcher „öffentlicher Dienst“, der ähnlich einem Gottesdienst aber nur den beschenkte, der ihm direkt und in Gänze beiwohnte. Dieses Spiel in kurze, mediengerechte Einspieler zu verpacken, ist eigentlich Sünde, denn es verkennt den wahren Wert dieses doch so ganz anderen Spektakels.

Das Spiel war keine hohe Kunst, es war Hohe Kunst. Um ersteres zu sein, fehlt es dem Spiel vor allem unserer Mannschaft insbesondere in der ersten Halbzeit an Präzision, an Virtuosität im Lauf- und Passspiel, was aber gegen einen hochaufmerksamen, laufstarken und diszipliniert spielenden Gegner schwierig war.

Aber es war Hohe Kunst, denn es war ein wahres Opus, das alles in sich vereinte, was eine zu Herzen gehende, erbauliche und den Freund, Kenner und Genießer erbauende Messe ausmacht.

Prinzipiell besteht eine solche ja immer aus zwei Teilen: Ordinarium und Proprium. Das Ordinarium bezeichnet die festen, immer wiederkehrenden Bestandteile einer solchen Komposition, das Proprium vereinen sich dem Anlass entsprechend wechselnde Elemente.

Zu letzterem zählt der Anfang: der Introitus, der Einzug (der Altardiener aka Mannschaften), der meist von einem Chor (aka Fans) begleitet wird. Darauf folgen das dem Ordinarium zuzuordnende Kyrie eleison sowie Gloria.

Das Kyrie eleison besteht in einer kurzen, in der Regel dreigliedrigen Litanei, die im Tempel zu Sinsheim meist in Form von „Teh – Ess – Geé“ dargebracht wird.

Gloria dient dem Ausdruck der Ehrerbietung des Angebeteten. Auch dies ist regelmäßig im Stadion anzutreffen, auch wenn der eigentliche Text:

audamus te (Wir loben Dich,)
benedicimus te (wir preisen Dich,)
adoramus te (wir beten Dich an,)
glorificamus te (wir rühmen Dich)
gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam (und danken Dir, denn groß ist Deine Herrlichkeit)

immer wieder modifiziert wird, ohne dabei aber genau jenen Sinn zu verlieren. Mit den Nerven kann das dabei schon anders aussehen.

Warum schoss Firmino nicht, war die wohl häufigst gestellte Frage in der vierten Minute, als es völlig berechtigt Elfmeter für unsere Mannschaft gab. Volland wurde klar weggesenst, der Schiedsrichter pfiff und das „Gloria“ setzte ein, denn Elfmeter waren in der Vergangenheit meist eine sichere Sache für uns, allerdings stand Salihovic nicht auf dem Platz (und nicht mal in der Aufstellung).

Und bisher war es ja so, dass, wenn er nicht antrat, es Firmino tat. So ging jeder davon aus, dass er es sein würde, der sich den Ball schnappen würde, zumal er ja nach seiner Nominierung in der Europa-Auswahl der Seleçao ja geradezu vor Selbstbewusstsein strotzen dürfte. Er tat es nicht. Nicht einmal ansatzweise. Vielleicht wollte er es auch gar nicht, hatte er doch die letzten Strafstöße versemmelt, dennoch war auf den Rängen die Verwunderung nicht gering, als sich unser „Rudy Nazionale“ den Ball auf den Punkt legte.

Wohl etwas zu genau, denn nach einem Einwand des gegnerischen Torhüters musste er den Ball wenige Zentimeter nach hinten legen – und man muss sagen, Rudy hat ein sehr, sehr fein austariertes Füßchen, denn es waren wohl exakt diese paar Zentimeter, die letztlich gefehlt haben. Der Ball war sehr gut geschossen, sehr gut platziert, aber zu gut, denn der Ball landete am Pfosten. Von der Stelle, wo der Ball zuerst lag, hätte er wohl exakt ins untere Eck gepasst. So leider nicht. Kein Tor. Halleluja.

Wie passend zum IV. Teil einer Messe, dem Graduale (mit Halleluja).

Dieser Teil gehört wieder zum Proprium, den variablen Elementen, klar, kann man ja nicht immer davon ausgehen, dass es Elfmeter gibt und der dann verschossen wird. Aber wie wunderbar passend ist der Name dieses Parts, der basiert auf dem lateinischen Wort, das fast schon synonym für Stehplätze genutzt wird: gradus, deutsch: Stufe.

Diese Graduale sind sehr variantenreich und auch musikalisch anspruchsvoller als beispielweise Introitus und Gloria. Meist sind sie ein Wechselspiel mit Vorsänger und Chor und greifen dabei auf Psalmverse zurück.

Dies war gestern nicht der Fall, dennoch gab es gebetsmühlenartig immer wieder das gleiche, das von den Stufen den Angebeteten entgegengebracht wurde. Spielt sicherer, lauft mehr und vor allem lernt Einwürfe!

Einwurf: Nein, Letzteres war jetzt wirklich kein repetitives Element auf den Rängen als solche, sondern nur bei uns, aber was ging uns das auf den Sack! (Ups!) Zumindest gefühlt führten 90% aller Einwürfe in der ersten Halbzeit zu unmittelbaren Ballverlusten. Das kann doch nicht sein. Ein Einwurf ist eine Standardsituation, die aber im Gegensatz zu Elfmeter, Freistoß und Eckball ganz offensichtlich keinerlei Bedeutung im Training zu haben scheint. Dabei ist ein Einwurf etwas ganz Besonderes, denn es gibt nach einem Einwurf kein Abseits. Wissen das die Spieler? Wenn ja, warum nutzen sie das nicht aus? Warum wird meist nach hinten geworfen und das meist nur lasch, so dass der Gegner leichtes Spiel hat, das Spielgerät in seinen Besitz zu bringen?

Es war kein schlechtes Spiel, aber, ähnlich diesem Spielbericht bis hierher, in dem ja kaum was über Fußball und noch weniger über das gestrige Spiel stand, zääääääääh.

Halbzeit. Credo.

Credo ist auch lateinisch (und natürlich fester Bestandteil einer Messe. Es war in der Pause ständig zu hören. Nur eben auf deutsch: „Ich glaube, …“.

Und es wurde viel geglaubt, sehr viel – und vor allem sehr viel Unterschiedliches, aber das stört ja nicht, denn alles war zum Wohl der eigenen „Heiligen“, wobei man mit so manchem schon sehr haderte. Insbesondere Schwegler und Szalai waren Bestandteil so manchen Stoßgebets.

Dann aber wurde es – passend zum Aufbau eben einer Messe. Es folgte ein Element, das es nicht geben muss, aber kann – und es kam: das Offertium (die Darbietung, gemeint ist die Gabengebung.)

Denn auf einmal gab unsere Mannschaft den Ton an. Nicht von jetzt auf gleich, aber von Minute zu Minute steigerte sie sich. Fast schon unmerklich, aber beständig nahmen Spielanteile und Spielkontrolle zu. Es gab mehr Kombinationen und mehr Abschlüsse, die sich ihrerseits mehr und mehr dem Tor näherten

Die Mannschaft gab Anlass zur Hoffnung. Halten wir die Serie gegen diesen unangenehm (gut) spielenden Gegner, gegen den wir seit 2007 in noch keiner Ligabegegnung einen Punkt abgegeben haben? Aber es gab auch Anlass zur Sorge, denn der Respekt vor dem Gegner war auch auf den Rängen zu spüren. Jederzeit traute man ihm zu, mit einem gezielten Konter die Bemühungen unserer Mannschaft, sich selbst Selbstvertrauen zu erspielen, zunichte zu machen. Und nach fast einer Stunde war es so weit. Fast.

Wie bei unserem Elfmeter waren es nur wenige Zentimeter, die dafür sorgten, dass der Ball, obgleich bereits hinter dem Torwart nicht den Weg ins Netz, sondern nur an den Pfosten fand, von wo er dann schließlich in den Händen des Torwarts landete – diesmal unserer 1.

VII. Teil: Sanctus mit Hosianna und Benedictus. (Ordinarium)

Jetzt wurde gebibbert und gebetet (Das Sactus beginnt mit der Anrufung der Engel.) – und es hat sich gelohnt, denn das war es dann auch mit der Paderborner Herrlichkeit. Danach spielte nur eine Mannschaft gefährlich – und das war unsere. Dazu kamen entscheidende Veränderungen bei den Akteuren.

Heilig, heilig, heilig Gott, Herr aller Mächte und Gewalten.
Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit.
Hosanna in der Höhe.
Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.
Hosanna in der Höhe.

Szalai und Elyounoussi raus – Zuber und Schipplock rein. Zugegeben, Zuber hatte uns bislang nicht überzeugt und auch seine ersten beiden Aktionen waren Ballverluste, was unseren Glauben in die Richtigkeit der Entscheidung des Trainers nicht gerade förderte, doch dann konnten wir gar nicht mehr anders als Abbitte zu leisten.

Zuber war es, der mit einer seiner zahlreichen Aktionen für hinreichend Verwirrung und entsprechende Desorientierung in der bis dahin so sehr stabilen Paderborner Defensive sorgte. Von ihm ging der Ball zu Beck, von ihm zu Volland und von ihm endlich, endlich, endlich ins TOOOOOOOOOOOOOOR. Hosianna! (Fleh- oder Jubelruf an Gott oder König (hebr.: הוֹשִׁיעָה נָּא)).

Kurz zuvor markierte er nämlich den dritten Aluminiumtreffer des Spiels. Ein wunderbarer Freistoß, wunderbar lang gezogen, aber auch da: Innenpfosten – und raus. Aber in der 73. Minute war er dann drin – und alle glücklich. Es traf die richtige Mannschaft und der/den richtige/n Spieler.

Volland kämpfte, versuchte und machte. Er wollte seinen ersten Saisontreffer – und da war er und, wie die Vierzigstelmillion Zuschauer mit ihm – äußerst glücklich.

OK, da war die Messe noch nicht gelesen, aber es folgten weitere Chancen. Zuber tanzte die komplette Hintermannschaft aus, auch den Torwart, doch ein Abwehrspieler rettete vor dem bereits geschlagenen Keeper, aber der nur zu Schipplock, und der … sorgte für Alutreffer Nummer vier.

Noch zehn Minuten. Und wieder wechselte der Trainer richtig ein: Vestergaard für Schwegler – und, wenngleich auch der junge Däne nicht als der Inbegriff völliger Sicherheit gilt, machte er in den paar Minuten das perfekte Spiel auf seiner neuen Position vor der Abwehr.

Kein Ball kam mehr gefährlich in die Nähe unseres Tores. Die Siegerfahne konnte so langsam rausgeholt werden. Sie, die Siegerfahne, dient dem drittletzten Teil der Messe, dem Agnus Dei, dem Lamm Gottes als Zeichen des Sieges des Guten (in der Kirche: Jesu Auferstehung).

Communio.

Der Gesang der Gemeinschaft. Um 17.23 Uhr war er ein vielstimmiges „JAAAAAAAAAAAAAAAAAA!“

Das Spiel, wenngleich nicht brillant, so war es doch in seiner Tiefe, seiner Spannung, seiner kontinuierlichen, graduellen Steigerung spektakulär ergreifend. Es sind eben jene Spiele, die man erst einmal spielen und dann auch gewinnen muss, die einem Glauben und Zuversicht geben, der tiefer geht als profane Freude.

Und damit endet dieser Beitrag. Und welche Worte könnten dazu besser sein als der Schluss einer Messe selbst?

Ite, missa est. (Gehet hin, es ist Entlassung.)

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